Hilary Putnam: Von der „Matrix“-Welt zur Religion

Menschen liegen in Brutkästen, ein Computer simuliert ihnen Realität: Das war die Idee des Films „Matrix“. Die Idee dazu stammt u.a. vom Philosophen Hilary Putnam. Wie das gelebte Judentum seines Sohnes sein Denken verändert hat, zeigt der Philosoph Alexander Hippmann in einem Gastbeitrag.

Der am 13. März 2016 verstorbene Philosoph Hilary Putnam hat Mathematik und Philosophie in den USA studiert und in den 1960er Jahren aktiv am Widerstand gegen den Vietnamkrieg teilgenommen. Er unterrichtete an der Princeton University, am Massachusetts Institute of Technology und an der Harvard University.

Porträtfoto des Philosophen Alexander Hippmann

Alexander Hippmann

Der Autor

Alexander Hippmann ist Habilitand im Fach Philosophie und Geschäftsführer des Weiterbildungsinstituts Wien.

Publikation: Der Traum in Philosophie und Psychoanalyse. Eine Untersuchung zur interdisziplinären Stellung des Traums in der analytischen Philosophie des Geistes und der psychoanalytischen Forschung, Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften 2009

Putnam war und ist für die Philosophie und ihre Geschichte so bedeutend, weil er eine ihrer Techniken mit Begeisterung ausführte: die Bereitschaft zum und das Lernen am Dialog. Diese Fähigkeit Dialoge zu führen, brachte es mit sich, dass er Positionen und Einstellungen immer wieder verändern konnte. Bisweilen mit einem Schwung, der es ihm ermöglichte, auch bereits von ihm selbst eingenommene Argumente und Positionen zu hinterfragen und zu widerlegen.

Gedankenexperimente

Eine bedeutende Form philosophischer Auseinandersetzung, die Putnam stark herausarbeitete, wird „Gedankenexperiment“ genannt. Er schaffte es besonders gut, philosophische Argumente in Vorstellungen umzuwandeln, die bisweilen sogar Laborsituationen ähnelten und sich dadurch für den Austausch mit den Wissenschaften besonders eignen.

Als Beispiel lässt sich hier sein Umgang mit dem Skeptizismus anführen. Es handelt sich dabei auch um jene skeptizistische Position, die in der Science Fiction eine große Rolle spielt und auch für den Film Matrix den Hintergrund bildet. Etwas wie Realität wird aus dieser Perspektive mit großem Zweifel betrachtet, denn alles, was wir für Realität halten, könnte auch Computersimulation sein.

Wie läuft das im Gedankenexperiment und in der Science Fiction ab? In der Nacht wird dem stark betäubten Menschen das Gehirn entnommen und dieses wird in der Folge in eine Nährlösung gesetzt, die dieses Organ am Leben erhält. Dann werden dem Gehirn alle für die Realität wichtigen Informationen über gut geeignete Verbindungen zum neuronalen Netzwerk von einem Computer zugespielt. Das Gehirn lebt damit gleichsam in der Realität.

Was ist Realität?

In seiner Vertiefung des Gedankenexperiments „Gehirne im Tank“ versucht Putnam, diese Position zu widerlegen und ihr eine andere Perspektive gegenüberzustellen. Er greift dazu eine Untersuchungsmethode auf, die auch Ludwig Wittgenstein anwendete: Es geht in der Philosophie darum, Unterscheidungen hervorzuheben (vgl. „Philosophische Untersuchungen“). Hilary Putnam hebt folgende Unterscheidung heraus: Wenn ein Computer laufend das Gehirn im Tank (d. h. in der Nährlösung) mit Informationen versorgt, sodass das Gehirn der Illusion erliegt, in der Realität zu sein, so müsste der Computer selbst einmal diese Informationen und Darstellungen, oder auch etwas wie Überlegungen im Rahmen einer funktionierenden Sprache, gewonnen oder erlernt haben.

In diesem Fall, wenn also das Gehirn z. B. denken und Überlegungen treffen kann, hätte der Computer auch die Sprache erlernt haben müssen. Fragen, die offen bleiben, sind: Wann und wie ergeben sich überhaupt Bezüge zur Realität, wann und wie bekommt z. B. das Wort „Buch“ den Bezug zum Gegenstand „Buch“? In einem Computer würden sich Wörter, Vorstellungen und Informationen über die Welt von allein gar nicht bilden können – außer eine Superintelligenz programmiert das Gerät.

Wie soll der Computer dann die Art von Bezügen zur Welt erschaffen haben, die er schlussendlich zur Verfügung stellt? Wie soll er Wörter und die dazugehörigen Referenzen gebildet haben, die einen Dialog und Austausch zwischen den Menschen und ihrer Umwelt ermöglichen, die er nun den Menschen als „Gehirnen im Tank“ vorspielt? Diese Position (vgl. „Reason, Truth and History“) wird in der Philosophie rund um Fragen zu verschiedenen Formen des Realismus, für die Hilary Putnam ein wichtiger Vertreter ist, breit diskutiert.

Über viele Jahre findet sein umfassendes Wirken in unterschiedlichen Fachbereichen der Philosophie wie z. B. der Sprach- und Wissenschaftsphilosophie oder der Philosophie des Geistes seinen Raum.

Aufnahme des traditionellen jüdischen Alltags

Mit dem Entschluss eines seiner beiden Söhne 1975 eine Bar Mitzwa zu feiern, und damit seine religiöse Mündigkeit im Judentum zu erlangen, kam es jedoch zu einer bedeutenden Veränderung in seinem Leben und seiner philosophischen Arbeit. Hilary Putnam forschte in den USA, wurde 1976 zum Professor für Philosophie an die Harvard-Universität berufen, war zu diesem Zeitpunkt überzeugter Atheist und kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft.

Durch die Zuwendung seines Sohnes zum Judentum kam es auch zu seiner Beschäftigung mit diesem, er begann an Minjans, jüdischen Gottesdiensten, teilzunehmen, das traditionelle jüdische Gebet wurde ein Teil seines Alltags, und 1994 vollzog er schließlich seine eigene Bar Mitzwa.

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war auch seine Auseinandersetzung mit jüdischen Philosophinnen und Philosophen: insbesondere mit Franz Rosenzweig, Martin Buber und Emmanuel Levinas, und einem Philosophen mit jüdischen Wurzeln: Ludwig Wittgenstein, wobei letzterer sich mehr als aus einem christlichen Haushalt kommend begriff. Putnam schrieb zu diesem Weg auch ein neues Buch „Jewish Philosophy as a Guide to Life“.

Das wechselseitige Du

Als Beispiel dazu kann seine Beschäftigung mit Martin Buber, der für Putnam in Bezug auf diese Entwicklung eine zentrale Figur bildete, sowie dessen Hauptwerk „Ich und Du“ dienen. Dieses kann für deutschsprachige Leserinnen und Leser zum Teil deshalb verständlicher werden als anderen, da ihnen die besondere Bedeutung des gegenseitigen „Du“ als Angebot und Gesprächsform vertrauter ist.

Wenn ich nach Buber einem Menschen als meinem Du gegenüber stehe, so unterscheidet sich die Beziehung zu diesem Menschen deutlich von der Beziehung zu einer Welt der Dinge. Das Verhältnis von Ich und Du, mit seinen heraustretenden Merkmalen wie seiner Einzigartigkeit und Wechselseitigkeit – der Mensch beginnt am Du zum Ich zu werden, kann auch alle anderen Beziehungen aufnehmen und in weiterem Sinn auch das Verhältnis zu Gott und ein Unterreden mit ihm beschreiben.

Vergleichen wir diesen Zugang mit dem klassischen philosophischen Dialog, so stellt Hilary Putnam den Dialog mit sich und dem Anderen damit in den Rahmen einer Dialogform eines religiösen Ich mit einem religiösen Du.

In Wittgensteins Worten könnte man damit aufzeigen, dass sich Hilary Putnam in der Folge der Veränderung in seiner Familie vom Philosophen zum „religiösen Denker“ entwickelte, und Wittgenstein achtete dessen Stellung in der Welt besonders. Er verglich den ehrlichen religiösen Denker mit einem Seiltänzer, der, wie es dem Anscheine nach aussieht, eigentlich beinahe nur auf der Luft geht, wobei sich aber herausstellen kann, dass sich auf diesem sehr schmalen Boden doch tatsächlich gehen lässt (vgl. „Vermischte Bemerkungen“).

Alexander Hippmann

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