Der Experte für „Sandler und Sennerinnen“

Wilderer, Prostituierte, Landärzte oder der Adel - seine vielseitigen Studien zu den unterschiedlichsten Gesellschaftskulturen machten den Wiener Soziologen Roland Girtler bekannt. Heute, am 31. Mai, wird er 75 Jahre alt.

Der Publizist Günther Nenning bezeichnete den Feldforscher Roland Girtler einst als „Poet“ und seine Forschungs-Themen als „hochpoetisch“. Er selbst beschreibt sich auf seiner Website als „Vagabund, Feldforscher, Experte für Sandler und Sennerinnen, für Dominas und Pfarrerköchinnen, für Aristokraten und Ganoven“. Die Soziologie ist für Girtler „ein Abenteuer“, und er der „Eroberer fremder Welten - aber nicht im bösen Sinn“.

Menschen beobachten und befragen - seine Domäne ist vor allem die Feldforschung, für die er auch „Zehn Gebote“ verfasst hat. Darin plädiert er dafür, Forschung nicht mit missionarischen Absichten und politischer oder pädagogischer Intention durchzuführen, sondern mit körperlicher Anstrengung "das Feld zu erwandern“.

Seine Neugier führte den ehemaligen Professor der Universität Wien immer wieder auf die Straße, in Gesellschaftskulturen, die häufig abseits des Alltags angesiedelt waren. Dabei sieht sich der Soziologe „nicht nur als Randkulturen-Forscher“. Vielmehr interessiere ihn die Vielzahl an Kulturen in einer Gesellschaft, die dann zutage tritt, wenn man das Fremde in der eigenen Kultur sucht.

Ein oberösterreichischer Wiener

Obwohl Girtler am 31. Mai 1941 in Wien Ottakring geboren wurde, liegen seine Wurzeln in Oberösterreich. In Spital am Pyhrn wuchs er als Sohn eines Landarztes und einer Landärztin auf und besuchte das humanistische Gymnasium im Kloster Kremsmünster. Diese Schulzeit in Kremsmünster stand auch im Mittelpunkt seines Buches mit dem Titel „Die alte Klosterschule - Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen“.

Nach dem Schulabschluss begann Girtler auf Wunsch seines Vaters ein Jus-Studium in Wien, das er aber nach der zweiten Staatsprüfung wieder an den Nagel hängte. Grund dafür war die „folgenschwere“ Begegnung mit einem Zuhälter, den Girtler im Krankenhaus kennenlernte. Von den Gesprächen mit seinem verwegenen Zimmergenossen derart fasziniert, beschloss er, die Studienrichtung zu wechseln. Über Völkerkunde und Urgeschichte verschlug es ihn schließlich in die Soziologie.

Für seine Verdienste in der Wissenschaft erhielt Girtler 2002 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse sowie 2014 den Preis der Stadt Wien für Volksbildung. Doch seine Arbeit wurde auch außerhalb der Forschungswelt geschätzt. So ernannte ihn die Vereinigung österreichischer Kriminalisten vor drei Jahren zum „Ehrenkiberer“.

science.ORF.at/APA

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