„Now, we have nothing to show our children“

„Gebäude erzählen Geschichten“, sagt die Syrerin Lynn Karkouki. Sie hat Architektur studiert und sich schon früh der archäologischen Spurensuche gewidmet. Heute lebt sie in Wien und sieht mit Bedauern, dass in Syrien die Zeugnisse der Vergangenheit zerstört werden.

„Wir können unseren Kindern nichts mehr zeigen, das macht mich sehr traurig“, sagt die 25-jährige Architektin aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die Zerstörung alter Gebäude und Anlagen bedrückt sie besonders, weil sie schon während ihres Studiums das Vergessen zum Thema gemacht hat.

Erinnern an „Vergessene Städte“

Ihre 2013 verfasste Abschlussarbeit widmete sie den sogenannten „Toten Städten“, die auch als „Vergessene Städte“ bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um die Ruinen von Dörfern im Norden Syriens, die im 4. Jahrhundert nach Christus ihre Blütezeit hatten.

Die Überreste der Kirche von Barqiha, einer der "Toten" oder "Vergessenen Städte".

Lynn Karkouki

Die Überreste der Kirche von Barqiha, einer der „Toten“ oder „Vergessenen Städte“.

Der Anbau von Oliven, Wein und Getreide ließ den Wohlstand in dieser Region nahe der Stadt Aleppo wachsen, prachtvolle Villen, Kirchen und Grabanlagen haben davon erzählt. Mit dem 7. Jahrhundert begann der Niedergang der Region aus bis heute nicht bekannten Gründen, die Gebäude blieben als verwitterte Zeugen ihrer Zeit stehen - bis der Krieg begann und die Region um Aleppo zum Ziel zahlreicher Luftangriffe wurde. Seitdem stehen die „Vergessenen Städte“ teils unter Feuer, teils werden sie ausgeplündert.

Ö1 Sendungshinweis

Über Lynn Karkouki berichtet auch „Wissen Aktuell“ am 6.6.2016 um 13.55 Uhr.

„2013 wollten wir einen Workshop organisieren, um internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die ‚Vergessenen Städte‘ einzuladen“, so Lynn Karkouki. Außerdem wollte sie gemeinsam mit anderen Architektur-Studierenden die lokale Bevölkerung einbinden, um mehr Bewusstsein für diese zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobenen Orte zu erzeugen. Der Krieg kam dazwischen, die Region war nicht mehr sicher, weshalb alle Aktivitäten eingestellt werden mussten.

Pläne zeichnen für Limyra

Auch heute arbeitet die junge Frau in gewisser Weise gegen das Vergessen. Nach ihrer Flucht 2015 nach Österreich gelangte sie durch eine Bekannte im Deutschkurs in Kontakt mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die hochqualifizierten Menschen mit zuerkanntem Asyl Praktika anbietet.

Eine Hand winkt aus einem Zugfenster

APA/dpa/Sven Hoppe

„Scientists Welcome?“

In der Serie „Scientists Welcome?“ stellt science.ORF.at hochqualifizierte Menschen vor, die im Rahmen der aktuellen Fluchtbewegungen ihre Heimat verlassen haben und nun in Österreich - auch wissenschaftlich - Fuß fassen wollen. Bisher ist erschienen:

Praktika an der ÖAW

Aktuell machen 19 Flüchtlinge an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Praktikum. Voraussetzung ist ein positiver Asylbescheid. Es gibt keine Garantie auf eine Weiterbeschäftigung.

„Dort gab man mir den Tipp, dass am Österreichischen Archäologischen Institut jemand wie ich gebraucht werden könnte“, so Lynn Karkouki. Am 10. Mai 2016 hat die Architektin mit Liebe zur Vergangenheit dann ihr Praktikum angetreten, das seitens des Instituts von den ursprünglich vorgesehenen zwei auf fünf Monate ausgedehnt werden konnte.

Ihre Aufgabe: Im Rahmen der Forschungsarbeiten zu Limyra in der Türkei neue Pläne zu zeichnen. „Auf Basis eines Laser-Scans arbeite ich an einem genauen Plan der Ausgrabungsstellen“, so die junge Architektin. Schon mit fünf Jahren habe sie immer ihr Skizzenbuch dabei gehabt - dass ihr die Liebe zum genauen Zeichnen nun eine Arbeit in Österreich beschert hat, kommentiert sie mit einem verschmitzten Lächeln.

Gleiche Chancen

Der Wunsch nach einer sinnvollen Arbeit bestimmt auch Lynn Karkoukis Blick in die Zukunft. Dass sie dabei als junge Frau die gleichen Chancen hat wie junge Männer, das ist für sie selbstverständlich: „In Syrien haben sehr viele Frauen studiert, in der Wissenschaft hatten wir die gleichen Möglichkeiten“, erinnert sie sich.

Die Architektin Lynn Karkouki

ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Am liebsten würde die junge Architektin in der Wissenschaft bleiben. Wenn das nicht möglich sein sollte, würde sie sich bei Architekturbüros und ähnlichen Unternehmen umsehen. Für Syrien hat sie derzeit kaum Hoffnung - auch wenn Lynn Karkouki gerne einen Beitrag zum Wiederaufbau und damit gegen das Vergessen leisten würde.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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