Spiegelmolekül im Zentrum der Galaxis entdeckt

Astronomen haben in einer interstellaren Gaswolke eine Verbindung mit einer ganz besonderen Eigenschaft entdeckt: Das Molekül gibt es in zwei spiegelbildlichen Varianten - ebenso wie bei den Grundbausteinen des Lebens auf der Erde.

Der nachgewiesene Stoff kommt auf der Erde in der Natur nicht vor, kann aber künstlich hergestellt werden: Propylenoxid, ein relativ kleines organisches Molekül. Die Verbindung ist giftig und im Tierversuch kanzerogen. Doch eine Eigenschaft des Moleküls macht seinen Nachweis zur Sensation: Propylenoxid ist eine chirale Verbindung, sie kommt also in zwei Erscheinungsformen vor.

Knapp erklärt bedeutet das: Chirale Moleküle existieren in zwei spiegelverkehrten Varianten, wie die beiden Hände eines Menschen zwar gleich sind, aber eben spiegelverkehrt zueinander.

Schlüsselmoleküle des Lebens

Solche „links- oder rechtshändige“ organische Moleküle sind wesentlich für das Leben, wie wir es kennen. Wobei in der Natur meist nur eine Form vorkommt. Zum Beispiel ist in sämtlichen Lebewesen ausschließlich die rechtshändige Form des Zuckers Ribose (als D-Ribose), ein Grundbaustein der RNA, vorhanden. Viele Früchte wiederum bilden nur die linkshändige Form der Weinsäure.

Haben ganze Gruppen von ähnlichen Stoffen den gleichen Chiralitätssinn, spricht man von Homochiralität. Beispiel dafür: alle natürlich vorkommenden Aminosäuren haben die L-Form.

Spiegelbild und doch anders

Die unterschiedlichen Formen (chemisch: „Enantiomere“) der Spiegelmoleküle haben dieselbe Summenformel, Atombindung und auch physikalischen Eigenschaften wie Siede- oder Schmelzpunkt, aber die chemische Reaktion zu anderen chiralen Molekülen kann sehr unterschiedlich sein. So weiß man aus der Pharmazie, dass derselbe Wirkstoff in der einen Händigkeit wirksam ist, als das andere Enantiomer aber entweder unwirksam, oder aber sogar giftig sein kann.

Die Milchstraße und ihr galaktisches Zentrum - im Vordergrund: Lake Waiau, Hawaii

Brett A. McGuire / P. Brandon Carroll

Die Milchstraße und ihr galaktisches Zentrum - im Vordergrund: Lake Waiau, Hawaii

Woher das Phänomen der Spiegelmoleküle letzlich kommt und warum Organismen die eine oder andere Form bilden, ist wissenschaftlich nicht ganz geklärt. Fest steht jedenfalls: Chirale Moleküle sind ein wesentlicher Bestandteil biologischer Systeme. Und außer auf der Erde fand man bisher solche Verbindungen nur auf Meteoriten und Kometen, die bei der Geburt unseres Sonnensystems entstanden sind. Worauf sich auch dieTheorien begründen, die Ursprünge des Leben auf der Erde seien auf Meteoriten buchstäblich vom Himmel gefallen.

„Entscheidender Fortschritt“

Mit hochempfindlichen Radio-Teleskopen konnte nun ein Team von Wissenschaftlern erstmals ein komplexes organisches chirales Molekül im interstellaren Raum nachweisen, nahe dem Zentrum unserer Galaxie in einer gigantischen sternebildenden Gaswolke, Segittarius B2.

Als Teil des Forschungsprogrammes „Prebiotic Interstellar Molecular Survey“ wurden die entscheidenden Messungen am NRAO in West Virginia (National Radio Astronomy Observatory) durchgeführt, und am Parkes Radio Teleskope in Australien bestätigt.

„Es ist ein entscheidender Sprung vorwärts um zu verstehen, wie präbiotische Moleküle, also Vorläufersubstanzen des Lebens, im Universum entstehen und welchen Effekt sie bei der Entstehung von Leben haben", sagt Brett McGuire, Chemiker am NRAO in Virginia.

25.000 Lichtjahre entfernt

Die interstellare Gaswolke Sagittarius B2 ist etwa 25.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. In ihrem Randbereich erforschen Astronomen, wie nahe am absoluten Gefrierpunkt Partikel kollidieren und dabei komplexere organische Moleküle entstehen, bevor sie Asteroiden und Kometen aufnehmen und mit sich tragen.

Organische Moleküle, wie sie in der Gaswolke schwirren und vibrieren, geben je nach Art eine signifikante Strahlung ab, charakteristisch und zuordenbar wie ein Fingerprint. Über 180 Moleküle konnten die Wissenschafter aus der riesigen Datenmenge der Radio-Teleskope bisher filtern.

Das entdeckte Propylenoxid ist ein relativ kleines Molekül und so gesehen auch ein Glücksfall, denn komplexere organischen Verbindungen haben auch eine entsprechend komplexeres Strahlungsspektrum und sind daher viel schwieriger mit Methoden der Radio-Astronomie zu messen.

„Wir können aber davon ausgehen, dass, wenn wir ein Spiegelmolekül identifizieren konnten, es auch andere organische chirale Moleküle gibt“, sagt McGuire.

Ob das Propylenoxid aus dem All nun links- oder rechtshändig ist, können die Wissenschafter nicht bestimmen. „Die Technik, die wir benutzen, sagt leider nichts über das Mengenverhältnis der beiden Erscheinungsformen aus. Was wir empfangen können, ist praktisch das Schattenabbild einer Hand. Am Schatten einer Hand alleine läßt sich nicht bestimmen, ob er von einer linken oder rechten Hand stammt."

Mit der Entdeckung hoffen die Wissenschafter grundlegende Fragen der Entstehung des Lebens beantworten zu können: „Wie kam es dazu, dass alles Lebende nur ein Enantiomer von zum Beispiel einer Aminosäure bildet, und nicht das andere?", fragt Koautor und Kosmochemiker am Caltech in Kalifornien, Geoffrey Blake. „Und vor allem: Wenn es irgendwo im Universum Leben gibt, basierend auf der Biochemie, wie wir sie kennen, würde es auch dasselbe Enantiomer bilden?“

Zur Beantwortung ist es wohl noch weit zu früh, die Entdeckung gibt jedenfalls den Theorien neuen Auftrieb, dass die Saat des Lebens im All entstanden ist, und über Himmelskörper auf die Erde gefallen. Wie vielleicht auch auf unzählige Exoplaneten.

Thomas Azade, science.ORF.at

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