Die große Suche im Dunkeln

„Alles, was wir im Universum sehen, können wir erklären“, sagt die CERN-Physikerin Pauline Gagnon. Doch das sind gerade einmal fünf Prozent, der Rest liegt im Dunkeln. Dort suchen die Forscher nun fieberhaft - und haben bereits eine Spur: „Egal was es ist, es wird die Grenzen unseres Wissens verschieben.“

Frau Gagnon, Sie sprechen bei den Alpbacher Technologiegesprächen zum Thema „Der Blick ins Ungewisse und die Verschiebung des Horizonts“ – was bedeutet das für die Arbeit am Kernforschungszentrum CERN?

Pauline Gagnon: Das beschreibt eigentlich genau, was wir tun. Wir arbeiten an dieser Grenze zwischen dem, was wir über die Welt bzw. das Universum wissen und was nicht. Letztlich versuchen wir immer, den Horizont Stück für Stück zu erweitern, um die Welt besser verstehen zu können.

Pauline Gagnon

Pauline Gagnon

Zur Person

Pauline Gagnon ist Teilchenphysikerin an der Indiana University und arbeitet am ATLAS-Experiment des CERN. ATLAS ist eines von vier Hauptexperimenten am Large Hadron Collider.

Am 21. Juli 2016 erscheint ihr Buch „Who cares about particle physics? – Making sense of the Higgs Boson, the Large Hadron Collider and CERN“.

Wo liegt der Horizont im Moment?

Wir können alles erklären, was wir auf der Erde sowie im Universum sehen – also all das Licht und die Materie der Sterne und Galaxien. Wir wissen aber, dass das nur fünf Prozent von dem ist, was sich tatsächlich im Universum befindet. Der Rest ist komplett unbekannt.

Was ist mit dem Rest?

25 Prozent ist sogenannte Dunkle Materie, die kein Licht emittiert, die aber fünfmal so häufig ist wie sichtbare Materie. Wir können diese Materie zwar mit Gravitationslinsen und anderen Techniken erkennen und wissen, wie sich das Universum seit dem Urknall entwickelt hat. Ohne Dunkle Materie gäbe es die Welt, wie wir sie heute vorfinden, nicht. Wir haben aber keine Ahnung, was es genau ist.

Darüber hinaus bestehen 70 Prozent des Universums aus Dunkler Energie. Vor 15 Jahren erkannten wir, dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern dass es das immer schneller tut. Diese Beschleunigung ist Energie, über die wir ebenfalls nichts sagen können – weder woher sie kommt, noch welche Art von Energie das ist. Hier stehen wir im Moment.

Sie haben im Dezember letzten Jahres Lichtsignale entdeckt, die auf die Existenz eines neuartigen Teilchen hinweisen könnten. Könnte es Aufschluss über die restlichen 95 Prozent geben?

Es gab Anzeichen, dass wir etwas Ungewöhnliches entdeckt haben. Wir haben aber keine Ahnung, was es letztlich sein wird – vielleicht erklärt es Dunkle Materie vielleicht auch nicht. Das war beim Higgs Boson beispielsweise anders. Hier wussten wir genau, wonach wir suchen.

Die Wahrscheinlichkeit ist aber durchaus groß, dass uns dieses neue Objekt Aufschluss über etwas gibt, das über das Standardmodell der Elementarteilchenphysik hinausgeht.

Technologiegespräche Alpbach

Von 25. bis 27. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema lautet diesmal: „Neue Aufklärung“.

Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren. Pauline Gagnon wird am Arbeitskreis „Der Blick ins Ungewisse und die Verschiebung des Horizonts“ teilnehmen.

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Sie sind sehr optimistisch, dass sie diese Unbekannte klären können – warum?

Ich bin davon überzeugt - aus einem einfachen Grund: Wir haben zwei Gruppen zu je 3.000 Forschern, die mit zwei unterschiedlichen Technologien nach diesem Teilchen suchen – einerseits mit dem ATLAS-Detektor anderseits mit CMS. Beide – ohne dass sie sich gegenseitig absprachen – haben am exakt selben Ort diesen Hinweis für etwas Neues gefunden. Dasselbe Signal am selben Ort. Hätte es sich nur bei einer Gruppe ereignet, würde es tatsächlich wenig bedeuten.

Wie findet man einen Hinweis auf so ein Teilchen – durch Zufall?

Es gibt tausende Theorien, die versuchen die anderen 95 Prozent zu erklären - wir sind diesen Pfaden gefolgt. Darüber hinaus halten wir mit unseren Detektoren Ausschau nach allen möglichen Ereignissen, um nichts zu übersehen. In Summe spielt der Zufall keine große Rolle, weil wir bewusst versuchen, alles abzugrasen und keine Möglichkeit auszulassen.

Inwieweit hindern einen die fünf Prozent, die man bereits kennt, daran, die restlichen 95 Prozent zu erklären und ganz neue Dinge zu suchen?

Das ist eine Herausforderung, wir müssen einerseits stets so unvoreingenommen wie möglich sein – egal ob wir Theorien aufstellen oder Experimente durchführen. Dabei haben wir aber eine Menge Gepäck in unseren Rücksäcken in Form von Fakten, die wir durch Experimente gesammelt haben – jede Theorie, die entwickelt wird, muss dieses Wissen letztlich respektieren.

Das heißt, wir müssen kreativ sein - aber innerhalb unserer Fakten bleiben. Im Moment sind wir noch in diesem theoretischen Rahmen gefangen und wir wissen, dass unsere Theorien natürlich begrenzt sind.

Wie interpretieren Theoretiker diesen Hinweis auf das neuartige Teilchen jetzt?

Seit Dezember wurden mehr als 400 verschiedene Theorien veröffentlicht, jede schlägt eine andere Lösung vor. Es ist so, als ob man ein Biest fangen möchte, ohne zu wissen, was diese Kreatur genau ist, noch welche Gewohnheiten es hat oder was es beispielsweise gerne isst. Die Theoretiker liefern uns alle möglichen Ideen und wir versuchen danach nun alle möglichen Fallen zu bauen.

Es ist aber nicht gesagt, dass sich eine der Theorien letztlich bewahrheitet – vielleicht kommen wir auch zu einer ganz neuen Erkenntnis, an die bisher niemand gedacht hat. Spätestens im August haben wir hoffentlich genug Daten über dieses Teilchen gesammelt, um es und damit das Universum besser erklären zu können.

Wie geehn Sie damit um, dass man nie wirklich weiß, wohin einen die Forschung führt - oder was man eigentlich genau sucht?

Das ist in der Tat nicht einfach. Es hat 20 Jahre gebraucht , um den Large Hadron Collider so zu bauen, dass wir unsere Experimente durchführen konnten. Da muss man schon extrem motiviert sein und sich die wissenschaftliche Neugier bewahren.

Auf der anderen Seite versuchen wir, die Unsicherheitsfaktoren so gut wie möglich zu begrenzen. Wir machen viele Prototypen, damit wir sehen, ob unsere Detektoren auch so arbeiten, wie wir das wollen sowie Versuche, in denen wir die beste Methode mit den größten Erfolgsaussichten suchen.

Inwiefern hat der Nachweis des Higgs-Bosons die Arbeit am CERN verändert – vielleicht sogar befreit?

Es war natürlich eine große Erleichterung und auch ein riesen Motivationsschub zu sehen, dass unsere Maschinen und Techniken funktionieren. Aber leider hat der Nachweis keine neuen Erkenntnisse oder Hinweise geliefert, in welche Richtung wir unsere Forschung weiter treiben sollen. Es belegte lediglich die Theorie, die wir 48 Jahre lang als Vorlage hatten.

Das ist das Spannende im Moment: Egal, was wir nun tatsächlich finden, es wird die Grenzen unseres Wissens verschieben.

Interview: Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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