Weniger Ertrag, aber mehr Inhalt

Rund 30.000 essbare Pflanzen sind bekannt, 30 werden landwirtschaftlich genutzt, nur 3 - Reis, Brotweizen und Mais - dominieren weltweit die Felder. Deutsche Forscher plädieren für mehr Vielfalt auf unseren Tellern und rücken alte Getreidesorten in den Fokus.

Denn Studien hätten gezeigt, dass sie - zumindest zum Teil - mehr gesunde Inhaltsstoffe haben. Problematisch ist aber noch immer der Ertrag, der mit konventionellen „Massensorten“ nicht mithalten kann.

science.ORF.at: Emmer, Einkorn, Dinkel: Diese Getreidearten klingen nach dem Speiseplan von „Öko-Fundis“. Sie hingegen schreiben, dass sie die massentaugliche Zukunft sein könnten. Warum?

Friedrich Longin: Ich denke, dass sich nicht nur der „Öko-Fundi“, sondern auch der durchschnittliche Verbraucher für Alternativen interessiert, die möglichst natürlich sein sollen und Geschmack mit Gesundheit verbinden. Und dafür sind Emmer, Einkorn und Dinkel sehr geeignet.

Was sagt denn die Wissenschaft: Inwieweit sind diese Getreidesorten tatsächlich gesünder?

Zur Person:

Friedrich Longin ist Spezialist für Weizen an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim.

Einkorn beispielsweise ist gut erforscht. Man weiß heute, dass es viele Carotinoide - bei Pflanzen ist das dann das Lutein - beinhaltet, und zwar bis zu zehn Mal mehr als herkömmlicher Brotweizen und bis zu fünf Mal mehr als Hartweizen. Das ist wichtig für die Sehkraft und das zentrale Nervensystem. Außerdem hat Einkorn mehr Vitamin E als Brotweizen und die doppelte Menge der Mineralstoffe Zink, Selen, Eisen, Kupfer, Mangan.

Und wie sieht es mit Emmer und Dinkel aus?

Für Emmer und Dinkel gilt das deutlich weniger, die von den Inhaltsstoffen her betrachtet dem Brotweizen sehr ähnlich sind. Sie beinhalten geringfügig mehr Mineralstoffe, ansonsten gibt es aber kaum Unterschiede zum Brotweizen.

Nun gab es ja einen guten Grund, warum diese alten Getreidesorten von den Tellern mehr oder weniger verschwunden sind, nämlich der geringe Ertrag. Gilt das heute nicht mehr?

Das gilt natürlich weiterhin. Zum Vergleich: Ein Einkorn drischt - bei gutem Boden - rund drei Tonnen auf einem Hektar, was in etwa der Fläche eines Fußballfeldes entspricht. Brotweizen bringt auf dieser Fläche acht bis zehn Tonnen Ertrag. Einkorn hat also etwa ein Drittel des Ertrags. Emmer bringt ungefähr die Hälfte des Ertrags von Brotweizen, Dinkel etwa Dreiviertel.

Man muss aber gleichzeitig sagen: Wir in Österreich oder Deutschland haben nicht das Problem, dass wir uns nicht ernähren können, sondern dass wir zu viel Inhaltsarmes essen. Insofern sind diese Sorten eine gute Wahl.

Gleichzeitig sind sie im Vergleich aber sehr teuer. Ein Kilogramm Einkornreis hier aus der Region kostet 7,80 Euro, ein Kilo importierter weißer Reis 2,59 Euro. Wird Ernährung damit zum sozialen Problem?

Soweit würde ich nicht gehen. Es ist logisch, dass sie teurer sind, weil sie - wie beschrieben - viel weniger Ertrag bringen. Der Landwirt braucht deshalb einen Preisaufschlag, ansonsten kann er sich den Anbau nicht leisten.

Klar können es sich in erster Linie jene Menschen leisten, die das Geld haben, gleichzeitig sind das aber auch jene, die sich für Vielfalt interessieren. Und wenn es mehr Interesse an Einkorn und Emmer gibt, kann man ja auch mit ertragreicheren Sorten experimentieren, so dass die Preisspanne möglicherweise kleiner wird.

Alte Sorten - nicht nur beim Getreide, sondern auch bei Obst und Gemüse - werden auch im Zug der Klimawandeldebatte immer wieder genannt. Die These: Es könnte Sorten geben, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Hitze sind und deshalb besser mit dem Klimawandel zurechtkommen. Sehen Sie auch dieses Revival?

Ich glaube nicht, dass die alten Sorten in Zeiten des Klimawandels die Welternährung retten werden. Möglicherweise könnten sie insofern hilfreich sein, dass man Eigenschaften wie eben Resistenz gegen Hitze- und Trockenheitsstress identifiziert und in moderne Sorten einkreuzt. Aber alte Sorten haben meist einen so großen Ertragsrückstand, das kann man nicht aufholen.

Was kann denn nun getan werden, damit Einkorn, Emmer und Dinkel wieder mehr in die Regale kommen?

Die Studie:

Back to the Future - Tapping into Ancient Grains for Food Diversity“, „Trends in Plant Science“, 27.6.2016

Es muss einfach bewusst werden, dass vor allem bei Einkorn und Emmer viel langfristiger geplant werden muss als bei normalem Brotweizen. Alle Teile der Produktionskette - vom Landwirt über den Müller und Bäcker bis hin zum Supermarkt und Konsumenten - müssten mehr mit einander reden und eine über mehrere Jahre laufende Kooperation aufbauen.

Und das gilt nicht nur für Einkorn, Emmer und Dinkel, sondern auch für seltene Obst- und Gemüsearten. Man hat es beim Dinkel gesehen, mit dem heute in Europa ein Umsatz von über einer Milliarde Euro pro Jahr gemacht wird, dass es nicht um Nostalgie geht, sondern um Perspektiven für die Landwirtschaft.

In Österreich versuchen schon seit einigen Jahren große Supermarktketten, durch Verträge mit Produzenten an seltene alte Sorten zu kommen. Ist das in Deutschland nicht der Fall?

Ich würde mal sagen, dass wir hier von Österreich viel lernen könnten. Bei Ihnen sind auch die Verbraucher deutlich aufgeschlossener gegenüber solchen Angeboten.

Ganz persönlich gefragt: Wie oft essen Sie Einkorn, Emmer oder Dinkel?

Sehr oft. Ich backe seit Jahren mein Brot selber und verwende dazu auch das Getreide, das hier auf den Versuchsfeldern der Universität wächst. Wenn bei Studien und Versuche Reste übrig bleiben, nehme ich sie mit nach Hause und backe Brot für meine Familie.

Interview: Elke Ziegler, science.ORF.at

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