Wettlauf um Erdöl in der Arktis

In Grönland, nur 700 Kilometer vom Nordpol entfernt, war es im Juni wärmer als in New York. Das Eis der Arktis schmilzt rasant. Das weckt bei den Anrainerstaaten Begehrlichkeiten. Denn unter dem Eis werden riesige Erdölvorkommen vermutet.

In der Arktis wird in diesem Jahr eine Rekordschmelze befürchtet. Wird die globale Erderwärmung nicht aufgehalten, dann könnte ein großer Teil der Arktis in zehn Jahren im Spätsommer bereits eisfrei sein. Für das dortige Ökosystem ist diese Entwicklung fatal: Sie bedroht die Lebenswelt von Tieren wie Eisbär, Robbe oder Blauwal. Hinzu kommt: Wird das Eis rund um den Nordpol dünner, dann wird diese harsche Region geopolitisch wesentlich interessanter als zuvor.

9 Billionen US-Dollar im arktischen Meer

„Man nimmt an, dass sich zirka ein Fünftel der weltweiten Ressourcen in diesem Raum befinden“, sagt Markus Reisner, Militärexperte von der Landesverteidigungsakademie. Die Anrainerstaaten würden dementsprechend bereits heute versuchen, den zukünftigen Zugang zu diesen Ressourcen zu sichern.

Diese Länder sind die sogenannten „Arctic Five“: Russland, Dänemark, Norwegen, die USA und Kanada. Zu den Rohstoffen, die für diese Länder von Interesse sind, gehört neben Seltenen Erden und Manganknollen vor allem das Erdöl, das in den arktischen Meeren vermutet wird. Sein Wert wird auf rund neun Billionen US-Dollar geschätzt.

Unfälle hätten fatale Folgen

Erste Probebohrungen haben in den arktischen Meeren bereits stattgefunden. Auch das österreichische Unternehmen OMV hat bereits Interesse an diesen Offshore-Vorhaben bekundet. Dass vor der Küste Norwegens oder Russland das ganze Jahr über Öl gefördert werden kann, bezweifelt der Klimaforscher Herbert Formayer von der Universität für Bodenkultur in Wien jedoch. Denn auch wenn die Temperaturen steigen, der arktische Winter ist immer noch sehr kalt und vor allem dunkel.

Ö1 Sendungshinweis:

Über den Wettlauf in der Arktis und die warnenden Stimmen der Wissenschaft berichtete auch das Mittagsjournal am 28.6.2016.

Und dennoch, die Gefahr besteht, dass es auch rund um den Nordpol zu Erdölförderung im größeren Stil kommt. Das birgt die Gefahr einer ökologischen Katastrophe. Denn wenn es zu einem Unfall kommt und Öl ins Meer austritt, würde sich das Ökosystem wesentlich langsamer erholen als in anderen Weltregionen. „Die Mikroorganismen, die das Öl im Meer abbauen, sind temperatursensitiv und bei diesen kalten Temperaturen würde das ewig lange dauern“, erläutert Formayer.

Russland bei neuen Transportwegen vorne

Wen das arktische Eis schmilzt, würden auch neue Transportwege entstehen: Die Nordostpassage bzw. die Nordwestpassage könnten dann über mehrere Monate hindurch befahrbar werden - zumindest mit Eisbrechern. Auch vor diesem Szenario warnen Ökologen: Die unberührte Natur rund um den Nordpol zu einer Transitroute zu machen, würde dem Ökosystem, allen voran den tierischen Bewohnern, enorm schaden.

Hinzu kommt ein geopolitisches Problem. Denn Russland hat den anderen Anrainerstaaten gegenüber einen strategischen Vorteil. Das Land verfüge über sechs strategische Atomeisbrecher, die Vereinigten Staaten dagegen nur über einen, sagt Markus Reisner. „Für den Bau eines derartigen Eisbrechers brauchen sie alleine zehn Jahre“ erläutert Reisner. Selbst wenn die anderen Ländern aufholen wollten, kämen sie wahrscheinlich zu spät.

Einzige Hoffnung: Klimawandel aufhalten

Auch wenn es in den vergangenen Jahren immer wieder zu militärischer Präsenz rund um den Nordpol gekommen ist, betont der Militärexperte dennoch, dass alle betroffenen Staaten eine friedliche Aufteilung der Rohstoffe anstreben. Aus ökologischer Sicht seien die Aktivitäten in der Arktis in jedem Fall bedenklich, sagt der Klimaforscher Herbert Formayer. Erst im Dezember des vergangenen Jahres wurde in Paris ein Klimaschutzabkommen unterzeichnet, dass ein Ende fossiler Energielieferanten wie Erdöl vorsieht. „Wir sollten selbst in Saudi-Arabien die Erdölförderung stoppen. Warum sollten wir jetzt ausgerechnet in diese sensiblen Gebiete gehen mit diesem hohen Risiko für Umweltverschmutzung?“ so Formayer.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es für die Arktis dennoch: Gelingt es die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, wird es laut Prognosen keine eisfreien Sommer geben. Dann würde das wirtschaftliche und geopolitische Interesse an dieser Region vermutlich schwinden.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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