Wie Ameisen rückwärts nach Hause finden

Wenn Ameisen schwere Beute nach Hause schleppen, tun sie das im Rückwärtsgang. Erstaunlicherweise verlieren sie auch mit dem Hinterteil voran nicht die Orientierung. Deutsche Forscher haben herausgefunden, wie sie das schaffen.

Das stärkste Tier der Welt ist: nein, nicht die Ameise, sondern die Hornmilbe. Die kleine Milbe vermag das 1.200-Fache ihres eigenen Körpergewichts zu stemmen. Wenngleich sich damit ihre athletische Begabung auch schon erschöpft, wie man hinzufügen muss, denn gute Läufer sind die Milben nicht gerade.

Ameisen indes können beides, Sprinten und Schleppen. Das gilt besonders für die Wüstenameise Cataglyphis fortis. Sie bewegt Beute, die gut und gerne das Zehnfache ihrer Körpermasse wiegt, über hunderte Meter hinweg. Und sie legt, selbst mit leichtem Gepäck beladen, innerhalb einer Sekunde 70 Zentimeter zurück - das sind 100 Körperlängen.

Ameise schleppt eine Spinne durch die Wüste

Matthias Wittlinger

Job der Futtersucher: tote Tiere abstransportieren

Cataglyphis ist auch exzellent an ihre Umgebung angepasst. Die Ameise lebt in ausgetrockneten Salzseen in Tunesien und Algerien und sucht untertags, wenn die Sonne auf die trockene Salztonebene brennt, nach toten Insekten und Spinnen. Die schleppt sie dann auf geradem Weg zurück in ihren Bau.

Kaum Orientierungspunkte

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 21.7., 13:55 Uhr.

Das ist insofern bemerkenswert, als die Ameisen das im Rückwärtsgang tun, sie packen mit ihren Kieferscheren zu, schleifen die Beute und lassen erst dann von ihr ab, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe des Ameisenbaus befinden. Sehen können die Ameisen den Eingang zum Bau nicht, denn der besteht nur aus einem kleinen Loch im Boden. Und Orientierungspunkte in der Salzwüste sind auch Mangelware.

Wie finden die Ameisen den Weg? Dass sie Duftspuren anlegen, könne man ausschließen, betont Sarah Pfeffer von der Universität Ulm. „Pheromonspuren in der Wüste anzubringen hätte wenig Sinn. Es ist zu heiß und zu windig, die Pheromone würden nach kurzer Zeit verschwinden.“

Video: Experiment mit einem Keks. (c) Matthias Wittlinger & Sarah Pfeffer

Wie Pfeffer und ihr Kollege Matthias Wittlinger herausgefunden haben (Studien hier und hier), orientieren sich die Ameisen mit Hilfe von zwei Sinnen: Die Wegrichtung schätzen sie durch Blick auf die Sonne bzw. auf das polarisierte Licht am Himmel ab - das funktioniert auch rückwärts, denn die Facettenaugen erlauben ohnehin einen fast vollständigen Panoramablick.

Schrittzähler im Brusthirn

Für die Abschätzung der Distanz verwenden sie offenbar einen Schrittzähler. Das ist im Rückwärtsgang durchaus kniffelig. Denn rückwärts laufen die Ameisen nicht im gewohnten Stil - drei Beine hoch, drei auf dem Boden -, sondern mit sehr unregelmäßigen Schritten.

Schluss der Forscher: Der Schrittzähler der Ameisen funktioniert nicht so wie die Pedometer der Wanderer, die bloß die Zahl der Schritte messen. Der Ameisen-Pedometer ist komplizierter: „Die Ameisen berücksichtigen die Bewegung jedes einzelnen Beines und summieren sie zur Gesamtdistanz auf“, sagt Wittlinger.

Wo der Schrittzähler sitzt, ist ungeklärt. Ameisen haben im Gegensatz zum Menschen mehrere Gehirne: Jedes Körpersegment besitzt ein solches, einige davon sind allerdings zu einem Kopf- und Brustganglion verschmolzen. Wittlinger vermutet, dass der Schrittzähler in der Brust sitzt und seine Informationen irgendwie mit dem Sehzentrum im Kopfganglion abgleicht. Ob das stimmt, sollen nun weitere Versuche mit der Wüstenameise klären.

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: