Schädelvermessungen an Kriegsgefangenen

Während des Ersten Weltkriegs wurden in Lagern der k. u. k. Monarchie „rassenkundliche“ Untersuchungen an armenischen Kriegsgefangenen durchgeführt. Ein Forschungsprojekt klärt nun die Hintergründe.

Der damals angesehene, heute ob seiner Methoden umstrittene österreichische Arzt und Anthropologe Rudolf Pöch (1870-1921) hat im Auftrag von Kaiser Franz Josef und der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Lagern wie Grödig bei Salzburg, Hart bei Amstetten oder Reichenberg im heutigen Tschechien 5.000 russische Kriegsgefangene untersucht, darunter auch 191 Armenier.

Intention seiner Schädelvermessungen sei die physische Anthropologie gewesen, sagt die Salzburger Armenologin Jasmine Dum-Tragut. „Das war damals eine Strömung, nicht abwertend intendiert.“

„Pöch hat für ihn besonders typische Gefangene ausgewählt, sie vermessen und ihre Körpermerkmale beschrieben“, schilderte die Forscherin der Uni Salzburg. „Er machte von einigen auch Stimmaufnahmen, sie haben Lieder gesungen oder gesprochen.“

Pöch fertigte Gipsabdrucke von Kopf, Füßen und Händen an. Viele Gefangene wurden nackt fotografiert. In den archivierten „Messblättern“ sind außerdem der allgemeine Gesundheitszustand, Krankheiten, Sprache, Religion, Bildung und sogar Rechts- oder Linkshändigkeit vermerkt.

Lebensgeschichten erzählen

Basis der Forschungen bildet Pöchs Archiv im Institut für Anthropologie der Uni Wien. Dum-Tragut, Österreichs einzige habilitierte Armenologin, untersucht gemeinsam mit der Anthropologin und Künstlerin Katarina Matiasek in dem Projekt mit der Uni Wien und der Armenischen Akademie der Wissenschaften Pöchs Unterlagen. „Wir wollen die Geschichte des Ersten Weltkriegs, die Gefangenschaft und die armenische Geschichte auf die Ebene der Lebensgeschichte bringen. Wenn man Zeitzeugen erzählen lässt, berührt man mehr.“

Dum-Tragut ist es ein großes Anliegen, Pöchs Unterlagen den Nachfahren der Gefangenen in Armenien zurückzugeben, auch wenn es sich um Kopien handelt. „Fotos gibt es fast von jedem“, diese seien für die Angehörigen sehr wichtig, da sie keine Bilder von der damaligen Zeit haben. „Einer der hinterbliebenen Söhne hat gesagt: Er wartet auf das Foto von Papa, deshalb hat er wieder Lebensgeist“, so die Forscherin. Sie hat in den vergangenen Wochen bereits zehn Nachfahren von Kriegsgefangenen gefunden, „darunter sogar noch Söhne und Töchter“.

Rückgabe von Dokumenten

Die historischen Dokumente und Gipsabdrucke werden kopiert, gescannt oder abfotografiert und den Familien mit einem Geschenk aus Österreich übergeben. Die Originale bleiben in Wien. „Als Zeichen des Respektes besuchen wir auch die Gräber von verstorbenen Gefangenen, die nach dem Krieg nach Armenien zurückgekehrt sind.“

Im Spätsommer reist Dum-Tragut nach ihrem ersten Aufenthalt im Mai zum zweiten Mal in armenische Bergdörfer, diesmal auch in Begleitung von Matiasek.

Dabei werden Materialien aus dem Archiv mit der jeweiligen Familiengeschichte und dem umfangreichen Material aus den staatlichen Archiven Armeniens verglichen. Im Herbst 2017 ist eine Ausstellung in Wien geplant, dort sollen Originale gezeigt werden.

Dum-Tragut hofft, die Ausstellung auch in der armenischen Hauptstadt Jerewan zeigen zu können. Im Zuge des Projekt will sie auch erforschen, wie Österreich mit den Kriegsgefangenen umgegangen ist, wie das Leben in den Lagern war, was aus den Gefangenen wurde, über welche Wege sie heimgekehrt sind und wie das organisiert wurde.

Schwere Schicksale

Ein Sohn eines ehemaligen Gefangenen erzählte der Armenologin, es wäre seiner Ansicht nach besser gewesen, sein Vater wäre nicht mehr in die ärmlichen Verhältnisse nach Hause zurückgekehrt. Dieser habe als 19-Jähriger in seiner Gefangenschaft in Reichenberg auf einem Bauernhof gearbeitet, die Leute seien dort sehr hilfsbereit gewesen.

„1918 bis weit in die 1930er-Jahre war das Leben nicht leicht in Armenien. Die Auseinandersetzungen mit der neuen Türkei sind weitergegangen. Einige mussten nach der Rückkehr wieder an die Front“, sagt Dum-Tragut. Weil das Forschungsprojekt nicht von der öffentlichen Hand gefördert wird, versucht die Forscherin Sponsorengelder aufzutreiben, um zumindest die Reisekosten abzudecken.

science.ORF.at/APA

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