Künstler als Forscher und Provokateure

Am Europäischen Kernforschungszentrum in Genf arbeiten nicht nur Physiker und Ingenieure. Seit fünf Jahren gibt es am CERN auch Künstler, die kritische Fragen stellen. „Zum Teil provozieren sie die Forscher gezielt“, erklärt Monica Bello, Chefin von Arts@CERN.

Die Wissenschaft muss sich öffnen, plädiert Monica Bello. Das CERN sei hier definitiv Vorreiter: „Wie haben verstanden, dass sich auch die Rollen und Profile der Mitarbeiter erweitern müssen", so die Arts@CERN-Chefin im Interview mit science.ORF.at.

Sie sind Kunsthistorikerin, Kunstkritikerin und übernahmen 2015 das Zepter bei Arts@CERN. Mit Kernphysik hatten Sie davor noch nichts zu tun - wie viel haben Sie seither gelernt?

Monica Bello: Unglaublich viel. Was Teilchenphysik überhaupt ist, was dahinter steckt - an Technologie und auch, wie die Forscher an diesen beinahe esoterischen Fragen arbeiten. Daneben habe ich aber auch viel über die Kultur der Wissenschaftler am CERN erfahren - das war sehr aufschlussreich.

Porträtfoto von Monica Bello

CERN

Monica Bello studierte Kunstgeschichte und ist Kunstkuratorin. Bevor sie 2015 ans CERN wechselte, war sie künstlerische Leiterin von VIDA - International Competition for Art and Artificial Art.

Wie würden Sie diese beschreiben?

Dynamisch, offen und gemeinschaftlich. Alle sprechen immer wieder von einem gemeinsamen Ziel, das alle versuchen zu erreichen. Das ist ein sehr schöner Gedanke und heutzutage nicht selbstverständlich. Es ist die Offenheit und Hingabe, stets nach Antworten und den richtigen Fragen in der fundamentalen Wissenschaft zu suchen - das finde ich sehr mutig.

Das CERN bringt immer wieder Wissenschaftler und Künstler zusammen, wie bei dem Programm „Collide“, wo Künstler drei Monate im CERN residieren. Die Frage ist, warum macht das CERN so etwas?

Es ist beinahe ein Muss - einerseits fordert die spannende Umgebung vom CERN solche Kooperationen, auf der anderen Seite haben wir erkannt, dass man den Wissenschaftsbetrieb öffnen muss - nicht nur gegenüber Künstlern, sondern auch gegenüber Bürgern. Wissen und Informationen sind heute für alle Menschen zugänglich, und es gibt viele, die sich sehr gut informieren und ihre eigene Vorstellung haben. Das CERN reagierte hier gewissermaßen auf eine Entwicklungen in der Gesellschaft.

Ist es auch eine Frage des Diversitätsanspruches, den das CERN immer wieder in den Vordergrund stellt?

Auf jeden Fall. Das CERN ist eine sehr multidiverse Umgebung. 3.000 Menschen arbeiten vor Ort, die gesamte Gemeinschaft umfasst 13.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Dadurch kommen unterschiedliche Sprachen, Gender, Nationalitäten zusammen. Manchmal passiert es auch, dass man sich in verschiedenen Sprachen gleichzeitig unterhält. Neu ist aber die Diversität in der Art und Weise, wie am CERN geforscht wird. Die Teilchenphysik ist sehr spezifisch, die Forscher sind entweder Physiker oder Ingenieure. Nun gibt es aber auch Künstler, die als CERN-Forscher fungieren. Das ist spannend.

Plakat auf dem "Creative Collisions between the arts and science" steht

Christoph Martin Madsen - CERN

Der programmatische Wunsch von Arts@CERN

Wie forschen die Künstler?

Sie werden Teil der Gemeinschaft. Sie begleiten die Wissenschaftler, gehen in die Labore und stellen Fragen, provozieren vielleicht auch - im Wesentlichen geht es genau darum, dass sich verschieden intellektuelle Menschen untereinander austauschen und sich gegenseitig überraschen und inspirieren. CERN-Physiker beispielsweise können sich hochkomplexe Dinge vorstellen und Theorien für etwas entwickeln, das nicht greifbar ist. Ihnen bei der Arbeit zuzusehen ist wiederum für die Künstler enorm faszinierend.

Bei Künstlern erwartet man, dass sie nicht nur Fragen stellen, sondern ihre Gedanken in Bildern, Skulpturen oder Installationen zum Ausdruck bringen - passiert das gar nicht?

Nicht innerhalb des doch kurzen Zeitraums, in dem die Künstler am CERN sind. Sie bewerben sich aber durchaus mit bestimmten Projekten, die sie dann auch zu Ende bringen. Meistens verändert sich die ursprüngliche Zielsetzung und Herangehensweise aber im Laufe des Aufenthalts. Deswegen haben wir beschlossen, den Künstlern völligen Freiraum zu geben, damit sie sich einfach auf das CERN, die Wissenschaftler und die Atmosphäre dort einlassen können. Allerdings werden wir nun in einem zweiten Schritt unterschiedliche Ausstellungen mit jenen Künstlern machen, die schon eine solche Residenz absolviert haben. Wir möchten den Menschen zeigen, was bei so einem Aufenthalt passiert und wie man die Welt des Kernforschungszentrums noch sehen kann.

Fassadenmalerei des Künstlers Josef Kristofoletti am CERN 2012

Claudia Marcelloni - CERN

Fassadenmalerei des Künstlers Josef Kristofoletti am CERN 2012

Welche Künstler oder welche Künstlerin wählt man für so einen kreativen Forschungsaufenthalt aus - solche, die auch Ahnung von Physik oder Technik haben?

Technologiegespräche Alpbach

Von 25. bis 27. August fanden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. An einem Fachplenum nahm auch Monica Bello teil.

Manche bringen ein Vorwissen mit und können dann gezielt über Supersymmetrie oder dergleichen sprechen. Voraussetzung ist es aber keine. Vielmehr achten wir darauf, ob Künstler mit der Situation am CERN künstlerisch zu Recht kommen würden. So laden wir zwar durchaus auch junge Künstler ein - insbesondere im Rahmen von „Collide“, aber keine Anfänger, das wäre wenig zielführend. Wichtig ist, dass sie ihre eigene Sprache und Grammatik schon gefunden haben, mit der sie sich ausdrücken wollen und sich derer sicher sind. Ansonsten werden sie sich am CERN schwer tun, ihre Bilder in Worte zu fassen und mitzudiskutieren.

Das Programm Arts@CERN gibt es nun seit 2011 - wie sind die Rückmeldungen der Forscher?

Wir arbeiten viel mit den Wissenschaftlern, damit sie die Bedeutung und den Sinn des Projektes verstehen und auch mehr teilnehmen und sich öffnen. Ich denke, nach fünf Jahren funktioniert es gut, aber es wird ewig dauern, bis die Öffnung und Interaktion selbstverständlich geworden ist.

Interview: Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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