Antikörper schützt vor Vergessen

Eine neue Behandlung mit Antikörpern verringert bei Alzheimerpatienten die typischen Eiweißablagerungen im Gehirn – und damit auch die Symptome wie Vergesslichkeit. Experten warnen aber vor verfrühter Euphorie.

Alzheimer ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns. Lange bevor Patienten die typischen Symptome zeigen - etwa Gedächtnis-, Sprach- oder Denkstörungen - häufen sich im Gehirn Bruchstücke von bestimmten Eiweißen. Forscher sprechen von amyloiden Plaques.

Eine Reihe von Experten geht davon aus, dass diese Ablagerungen die Hauptursache für die Alzheimererkrankung sind, indem sie etwa Nervenzellen zerstören, Entzündungsreaktionen auslösen und letztlich die Signalübertragung im Gehirn behindern. Bewiesen ist das aber nicht. Dagegen spricht etwa, dass es Menschen mit Eiweißablagerungen gibt, die keine Symptome zeigen. Außerdem verbessert eine Auflösung der Plaques nicht zwangsläufig den Geisteszustand.

Erfolgreiche Grundlagenstudie

Die Wissenschaftler um Alfred Sandrock vom US-Biotech-Unternehmen Biogen hatten insgesamt 165 Patienten mit leichten Alzheimersymptomen einmal monatlich mit dem Antikörper Aducanumab oder mit einem Scheinmedikament behandelt. Der Antikörper greift die für Alzheimer typischen Eiweiße an und sorgt für ihren Abbau.

„Das ist aus vielerlei Gründen eine sehr wertvolle Studie, unter anderem, weil es erstmals gelingt, mit einem Antikörper aggregierte Eiweiße zu reduzieren, im Tierversuch und im Menschen“, kommentiert Theo Dingermann vom Biozentrum der Goethe Universität Frankfurt am Main, der an der Studie nicht beteiligt war.

„Dennoch muss man realistisch bleiben. Das ist eine Grundlagenstudie und von einer therapeutischen Anwendung ist man - auch wenn sich die guten Ergebnisse in größeren Studien bestätigten - noch Jahre entfernt.“

Frühes Erkennen ist entscheidend

Dingermann sieht trotz der guten Ergebnisse ein großes Defizit der Studie: Die kleine Studiengruppe umfasse nur Patienten in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung, die kaum Symptome zeigen. In der Praxis werde Alzheimer aber sehr viel später diagnostiziert - zu einem Zeitpunkt, an dem schon große Teile des Gehirns zerstört sind.

Die bisher verfügbaren Alzheimermedikamente wirkten vermutlich deshalb nicht besonders gut, weil sie zu spät eingreifen. Das sei bei dem Antikörper womöglich nicht anders. „Was wir wirklich brauchen, ist eine frühe Diagnostik. Wenn wir die haben, würde ich große Summen auf den Antikörper setzen.“

Die Forscher aus der Schweiz und den USA hatten zunächst in Versuchen mit Mäusen gezeigt, dass der Antikörper ins Gehirn gelangt und dort die Eiweißablagerungen angreift. Anschließend hatte sie insgesamt 165 Patienten einmal monatlich mit dem Antikörper Aducanumab oder mit einem Scheinmedikament behandelt. Der Antikörper richtet sich gegen die Amyloid-ß-Eiweiße in ihrer löslichen und unlöslichen Form.

Warnung vor verfrühter Euphorie

Nach einem Jahr waren die Ablagerungen im Gehirn deutlich zurückgegangen. Der Rückgang war umso größer, je länger die Patienten behandelt wurden und je höher die verabreichte Antikörper-Dosis war. Zudem zeigte sich, dass die kognitive Leistung der Patienten im Verlauf des Jahres weniger stark abgenommen hatte als bei den Patienten, die ein Scheinmedikament bekommen hatten.

Ihre Ergebnisse bestätigten die Amyloid-Hypothese und rechtfertigten die Weiterentwicklung des Antikörpers zur Behandlung von Alzheimer, schrieben die Wissenschaftler. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass die Studie darauf angelegt war, die Sicherheit des Präparats und die Auswirkung auf die Eiweißablagerungen zu prüfen. Die Auswirkung der Behandlung auf die klinischen Beschwerden der Patienten standen nicht im Mittelpunkt, die Ergebnisse dazu sollten deshalb mit Vorsicht interpretiert werden.

Auch der Alzheimerforscher Eric Reiman mahnte in einem Kommentar zu der Studie vor vorzeitiger Euphorie: „Es ist ratsam, sich mit einem Urteil über den kognitiven Nutzen von Aducanumab zurückzuhalten, bis Ergebnisse größerer Studien vorliegen.“

science.ORF.at/APA/dpa

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