Google hat die Nase vorne

Bei der Entwicklung leistungsfähiger Quantencomputer liefern einander Forschergruppen aus aller Welt ein Wettrennen. In Kürze könnte der entscheidende Durchbruch gelingen: nicht an einer Universität, sondern in Labors des Konzerns Google.

Wenn Wissenschaftler über die Welt der Quanten sprechen, dann sind Wörter wie „seltsam“, „eigenartig“ und „verrückt“ schnell bei der Hand. Das war schon vor 100 Jahren so, als die Regeln der Quantenmechanik durch Pioniere wie Niels Bohr entdeckt wurden. Der dänische Physiker meinte einst, so notierte es zumindest Werner Heisenberg, „wenn man nicht über die Quantentheorie entsetzt ist, kann man sie doch unmöglich verstanden haben“.

„Entsetzt“ sind die Physiker heute vielleicht nicht mehr, aber ganz können sie die Verwunderung noch immer nicht abschütteln. Beispiel gefällig? Die Quantenwelt, sagt etwa der theoretische Physiker John Preskill, ist von Natur aus „seltsam“. Gleichwohl hat dieser Umstand einen großen Vorteil.

Er ermöglicht es nämlich, Computer zu bauen, die leistungsfähiger sind als die gegenwärtig stärksten Supercomputer der Welt.

Quantenbit: Bruch mit der Logik

Die Seltsamkeit der Quanten besteht darin, dass sie mit der klassischen Logik brechen. Gäbe es im Bereich der Atome und ihrer Bausteine einen Wetterbericht, so würde es gleichzeitig regnen und nicht regnen, gäbe es dort Billiardkugeln, wären sie gleichzeitig (einfarbig) grün und (einfarbig) rot.

Das „Entweder oder“, so wie wir es kennen, hat hier offenbar keine Gültigkeit. Entweder oder - das ist auch die Logik, die den Bits der klassischen Computer zugrunde liegt. Entweder es fließt Strom oder es fließt keiner. Bei Quantencomputern indes ist das anders. Das Quantenbit vereinigt 0 und 1 in einem Überlagerungszustand, es ist beides zugleich, so lange man nicht nachsieht, was es ist. Anschaulich vorstellen kann man sich das kaum, aber man kann mit solchen Zuständen rechnen.

Supercomputer "Edison"

NERSC

Tritt an zum Duell mit derm Quantenrechner: Supercomputer „Edison“

Der experimentelle Beweis dafür, dass Quantencomputer mit ihrer unscharfen Rechnerei den klassischen Computern haushoch überlegen sein können (die „quantum supremacy“, wie es John Preskill nennt), stand bisher aus. Nun sorgt Google mit einer Ankündigung für Aufsehen: Laut einem auf dem Preprintserver „arXiv“ veröffentlichen Forschungspapier steht der Suchmaschinenkonzern kurz vor der Umsetzung des Beweises. 2017 soll es so weit sein.

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Über dieses Thema berichtet heute auch „Wissen aktuell“ - 6.9.,13.55 Uhr.

Sollte dies gelingen, sagt etwa der amerikanische Physiker Scott Aaronson, wäre dies vergleichbar mit der ersten Kernspaltung. Das mag vielleicht ein wenig hoch gegriffen sein. Ein wissenschaftlicher Durchbruch ersten Ranges wäre es jedenfalls, so viel steht fest.

Konzerne werben Forscher ab

Der Beweis für die Vormachtstellung der Quantenmaschinen will Google nun mit einer aufwändigen Rechenaufgabe - eine Simulation von Quantenschaltungen - erbringen.

Dieses Problem verbraucht extrem viel Speicherplatz, je mehr Quantenbits daran beteiligt sind. Klassische Computer würden etwa bei 50 Quantenbits 2.252 Petabytes Speicher benötigen. Das ist mehr, als der derzeit beste Supercomputer der Welt zur Verfügung hat. Daher beschränkt sich Google nun auf einen Quantenrechner mit 42 Quantenbits und setzt zum Vergleich den Supercomputer „Edison“ auf das gleiche Problem an.

Dass Quantenrechner bei manchen Aufgaben überlegen sind, etwa bei Primfaktorenzerlegungen oder bei Rechnungen mit dem sogenannten Grover-Algorithmus, weiß man bereits aus der Theorie. Googles Ankündigung, das nun auch in der Praxis belegen zu können, dürfte nicht übertrieben sein.

„In diesem Bereich gehört Google zur Weltspitze“, urteilt etwa Johannes Majer, Quantenphysiker von der TU Wien. Einer der Gründe: Google hat vor einiger Zeit die Quantencomputer-Hardware des Unternehmens D-Wave gekauft und dann den Spezialisten John Martinis von der University of California in Santa Barbara darauf angesetzt, die Zahl der kontrollierten Quantenbits nach oben zu schrauben und das System zu einem kommerziell verwertbaren Produkt zu machen.

„Das ist sehr teuer. Und letztlich eher eine technische Frage, denn eine wissenschaftliche. Daher sind große Konzerne wie Google bei diesen Anwendungen im Vorteil“, sagt Majer. Google ist laut Majer nicht die einzige Firma, die in diesem Bereich an der Spitze mitmischt.

Zwei seiner ehemaligen Forscherkollegen von der Yale University - Jay Gambetta und Jerry Chow - wurden mittlerweile vom Konzern IBM abgeworben, wo sie mit einer ähnlichen Architektur („supraleitende Quantenbits“) immer leistungsfähigere Quantenrechner entwickeln.

Ein Fünf-Bit-Quantencomputer aus dem Hause IBM ist bereits im Alltag bzw. im World Wide Web angekommen. Ein Login auf der Konzernwebsite genügt – dann kann jeder testen, wie man mit den unscharfen Quantenbits in der Praxis rechnet.

Robert Czepel, science.ORF.at

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