Eine Packung: 150 Mutationen

Rauchen schädigt das Erbgut und erhöht die Krebsgefahr: Das ist bekannt. Eine neue Studie liefert nun drastische Zahlen: Wer täglich eine Schachtel Zigaretten raucht, verursacht pro Jahr im Schnitt rund 150 Mutationen in jeder Lungenzelle.

Mehr als eine Milliarde Menschen rauchen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie erhöhen vor allem ihr Risiko auf Lungenkrebs deutlich. Aber auch andere Organe wie Speiseröhre, Gebärmutter, Blase und Bauchspeicheldrüse stehen bei ihnen stärker unter Krebsrisiko als bei Nichtrauchern.

Die körperlichen Vorgänge, die zu den Krankheiten führen, sind noch immer nicht restlos geklärt. Fest steht: Rauchen erhöht die Chancen, dass sich bösartige Körperzellen bilden. Unter dem Einfluss von krebserregenden Stoffen verändert sich das Erbgut einer Stammzelle - sie mutiert und gibt die Missbildung an ihre Tochterzelle weiter. Häufen sich die Fehler an, entsteht ein Tumor.

Lunge vor Kehlkopf und Rachen

Solche Mutation kommen freilich auch vor, wenn man nicht raucht: „Jeden Tag sind es bis zu 10.000 Mutationen“, erklärt Gerwin Heller von der Klinischen Abteilung für Onkologie am AKH Wien gegenüber science.ORF.at. „Üblicherweise werden sie aber vom Reparaturprogramm der Zellen unschädlich gemacht.“ Wer viel raucht, bringt die DNA-Reparatur aber ordentlich durcheinander. Das zeigt die neue Studie, die ein Team um Ludmil Alexandrow vom National Laboratory in Los Alamos (New Mexico, USA) nun vorgestellt hat.

Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der ZIB1, 3.11., 19.30 Uhr.

Die Zahl der Mutationen in der DNA hängt ihr zufolge von der Menge der gerauchten Zigaretten und dem Organ ab. Bei einem Packerl pro Tag ist jährlich mit rund 150 Mutationen pro Zelle die Lunge am stärksten betroffen. Im Kehlkopf treten (im Vergleich zu natürlichen) zusätzlich 97 Mutationen pro Zelle auf, in der Rachenhöhle im Schnitt 39, im Mund 23. Auch Organe wie die Harnblase (18 Mutationen) und die Leber (sechs), die nicht direkt mit dem Tabakrauch in Berührung kommen, sind betroffen.

Fünf molekulare Fingerabdrücke

Um zu diesen exakten Zahlen zu kommen, haben die Forscher mehr als 5.000 Krebstumore von Rauchern mit solchen von Nichtrauchern verglichen. Dabei fanden sie im Erbgut von Rauchertumoren bestimmte molekulare Fingerabdrücke. Konkret waren es bei den 17 Krebsarten, deren Risiko durch Rauchen steigt, mehr als 20 Mutationsmuster. Fünf davon brachten die Forscher mit Krebs von Rauchern in Zusammenhang.

Eines der Muster („Signatur 4“) tauchte hauptsächlich in jenen Organen auf, die direkt mit dem Tabakrauch in Verbindung kommen - etwa der Lunge und dem Kehlkopf. Andere führten die Forscher auf die Aktivität eines bestimmten Enzyms zurück, von dem man weiß, dass es Mutationen auslöst. „Signatur 5“, deren Ursprung unklar ist, wurde bei allen durch Rauchen verursachten Krebstypen entdeckt.

70 krebserregende Substanzen

Vollständig entschlüsselt ist die Ursache des Krebsrisikos bei Rauchern noch immer nicht. Laut der neuen Studie sind aber direkte genetische Ursachen wichtiger als epigenetische – also Umweltfaktoren, die die Aktivierung von Genen beeinflussen.

Vor allem bei jenen Organen, die nicht mit dem Rauch in Berührung kommen, bestehen Unklarheiten über den Mechanismus. „Im Tabakrauch befinden sich 7.000 Substanzen. 70 von ihnen gelten als krebserregend“, sagt Heller vom AKH, der nicht an der Studie beteiligt war. Viele der Schadstoffe würden vom Körper aufgenommen und wieder ausgeschieden werden – die Organe, die sie dabei berühren, haben ebenfalls ein erhöhtes Tumorrisiko.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, Material: dpa

Mehr zu dem Thema: