Keine Art entkommt dem Klimawandel

Während in Marokko Politiker bei der UNO-Klimakonferenz tagen, zeichnen Forscher ein wenig erfreuliches Bild vom Zustand der Erde: Die Ökosysteme befinden sich im Umbruch, fast alle Arten haben sich durch den Klimawandel verändert.

Breiter kann man eine Studie nicht anlegen: Wissenschaftler um den amerikanischen Ökologen Brett Scheffers haben im Fachblatt „Science“ eine Analyse vorgestellt, die die Auswirkungen des Klimawandels auf allen Ebenen dokumentiert - von Genen bis hin zu ganzen Ökosystemen.

Die Studie

„The broad footprint of climate change from genes to biomes to people“, Science, 11.11.2016

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete heute auch das Mittagsjournal um 12.00 Uhr.

Fazit: Vielleicht sollte man der Einfachheit halber nicht mehr fragen, wo sich der Klimawandel zeigt, sondern eher, wo er sich nicht zeigt. Denn seine Auswirkungen sind mittlerweile fast überall spürbar. 94 ökologische Vorgänge haben Scheffers und seine Kollegen untersucht, in 82 Prozent aller Fälle wurden sie fündig.

„Temperaturextreme lösen bei vielen Arten Anpassungen aus, sie verändern sich physiologisch und genetisch“, sagt John Pandolfi von der University of Queensland, ein Co-Autor der Studie.

Trend: Tiere schrumpfen

Bei manchen Arten, Schildkröten etwa, sei das Verhältnis von Weibchen und Männchen aus dem Lot geraten, weil diese ihr Geschlecht über die Wassertemperatur bestimmen. Andere Arten schrumpfen aufgrund der gestiegenen Temperaturen, da sie so überschüssige Wärme besser abgeben können.

Forscher der Yale University haben dieses Phänomen bei amerikanischen Sperlingsvögeln untersucht und festgestellt: Die Flügelspannweite hat sich seit den 50er Jahren um vier Prozent verringert. Geschrumpft sind auch die amerikanischen Salamander und die Blätter des australischen Hopfenbuschs. Erwartungsgemäß gewandelt haben sich auch die Rhythmen in der Natur. Pflanzen beginnen früher zu blühen, selbst die Algen im Meer haben ihr Wachstum an die veränderten Bedingungen angepasst. Da letztere an der Basis der marinen Nahrungsnetze stehen, pflanzen sich die Auswirkungen durch das gesamte Ökosystem fort.

„Effekte überall spürbar“

Verschoben hat sich nicht zuletzt auch das Timing aller Wanderer im Tierreich: Zugvögel brechen früher zu ihren Sommerquartieren auf, ähnliches gilt für die Langstreckenzüge der Wale. Et cetera. Knapp 200 Studien haben die Forscher in ihrer Analyse ausgewertet, die Tendenz ist überall die gleiche.

„Vor ein paar Jahrzehnten hätte noch niemand mit so weitreichenden Veränderungen gerechnet“, sagt John Watson von der University of Queensland, einer der Autoren. „Die Effekte des Klimawandels sind überall spürbar, kein Ökosystem auf der Erde ist davon ausgenommen. Es wäre unvernünftig, den Klimawandel länger als Problem der Zukunft anzusehen.“

Zumal, so die Forscher in ihrer Studie, auch der Mensch von all dem betroffen ist: Epidemien, Ernteausfälle und sinkende Erträge beim Fischfang seien zu befürchten.

Ganze Ökosysteme verschwinden

Mit Blick auf die Naturgeschichte ließe sich allerdings auch argumentieren: Anpassungen hat es immer gegeben - müssen die nun festgestellten Effekte immer negativ sein? „Nicht unbedingt“, sagt Brett Scheffers gegenüber science.ORF.at.

„Aber die Erfahrung zeigt, dass Ökosysteme recht verwundbar sind. Die Tangwälder an der Küste Australiens und Amerikas sind zum Beispiel wegen der fortschreitenden Umweltveränderungen im Begriff abzusterben. Sie verschwinden - und kommen nicht mehr wieder. Was zurückbleibt, ist felsiger Meeresboden.“

Die dokumentierten Effekte beziehen sich auf jenes eine Grad, um das sich die Erde seit Beginn des Industriezeitalters erwärmt hat. Laut dem Pariser Klimaabkommen soll die Erwärmung insgesamt zwei Grad nicht überschreiten - ein Ziel, das angesichts der schleppenden Umsetzung durch die Vertragsstaaten immer unrealistischer wird. Sofern Treibhausgase weiter ungebremst in die Atmosphäre geblasen werden, so rechnen Klimaforscher vor, könnte die Temperatur bis 2100 gar um vier bis fünf Grad ansteigen.

In diesem Fall, sagt Scheffers, wären die Grenzen der natürlichen Anpassung wohl weit überschritten. Wie die Ökosysteme der Erde dann aussehen würden, sei nicht vorhersehbar. „Sicher ist nur eines: Wir würden sie nicht wiedererkennen.“

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: