Männer hinken hinterher

In vielen Lebensbereichen haben Männer noch heute die besseren Karten, nicht bei der Lebenserwartung: Sie sterben früher als Frauen. Der Unterschied findet sich laut Forschern schon bei unseren nächsten tierischen Verwandten und hält sich trotz aller Fortschritte hartnäckig.

In keinem Zeitraum ist die Lebenserwartung der Menschen so rasant gestiegen wie in den letzten 200 Jahren, zumindest in den Industrienationen. Mit sehr viel mehr als vier Lebensjahrzehnten konnte ein zu Beginn des 19. Jahrhunderts geborener Europäer kaum rechnen. Heute währt ein Leben in Europa ungefähr 80 Jahre lang. Soziale wie wirtschaftliche Veränderungen und nicht zuletzt der medizinische Fortschritt machten es möglich, dass sich die Lebenserwartung in einem relativ kurzen Zeitraum annähernd verdoppelt hat.

Dieser Schub in nur wenigen Generationen sei einzigartig unter den Primaten, erklären die Forscher um Fernando Colchero von der University of Southern Denmark. Für ihre aktuelle Arbeit haben sie die Sterblichkeit von Menschen in modernen Gesellschaften wie Schweden und Japan mit jener von einfachen Jäger-und-Sammler-Gruppen wie den Hadza und verschiedenen Primatenarten verglichen.

Enormer Sprung

Die Menschen in den langlebigsten Gesellschaften leben demnach um 40 bis 50 Jahre länger als jene in heutigen Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften - laut den Forschern die beste Vergleichsgruppe für frühe Menschen. Diese wiederum leben nur etwa zehn bis zwanzig Jahre länger als wilde Primaten wie z.B. Schimpansen. „Allein in den letzten Jahrhunderten haben wir unsere Lebensspanne mehr verlängert, als das in den Millionen Jahren der Evolution der Fall war“, wie Koautorin Susan Albert von der Duke University den Umstand in einer Aussendung zusammenfasst.

Ein wesentlicher Faktor für die Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit war den Forschern zufolge ein deutlicher Rückgang bei der Kindersterblichkeit: Im heutigen Schweden oder in Japan sterben weniger als drei von 1.000 Babys. Vor 200 Jahren waren es 40-mal so viele, ebenso in heutigen einfachen Gesellschaften.

Alle haben was davon

Diese Tatsache spiegelt sich in einem typischen Kennzeichen langlebiger Gesellschaften: Die generelle Lebenserwartung ist hoch, die Unterschiede bei der Lebensdauer gering. D.h., alle werden ungefähr gleich alt. Laut den Forschern sterben in Japan und Schweden die allermeisten Menschen zwischen ihren späten 70er und ihren frühen 90ern.

Diesen Zusammenhang finde man auch bei wilden Primaten: Jeder Gewinn an Lebenserwartung gehe mit einer geringeren Variabilität der Lebensspannen einher. Anders ausgedrückt: In einer Gesellschaft, die sehr langlebig ist, hat mehr oder weniger jeder etwas davon, mit möglichst wenigen Ausreißern nach unten oder oben.

Warum holen Männer nicht auf?

Dennoch gibt es - selbst in den langlebigsten Gesellschaften - weiterhin Unterschiede bei der Sterblichkeit, z.B. können Armut und Lebensstandard das Leben gegenüber dem Durchschnitt um einiges verkürzen, besonders Männer sind davon betroffen.

Ganz generell ist das männliche Geschlecht in puncto Lebenserwartung im Nachteil, daran konnten alle Verbesserungen der jüngsten Vergangenheit nicht rütteln, wie die Forscher feststellten. So konnte ein um 1800 geborenes Mädchen davon ausgehen, ihre männlichen Zeitgenossen um drei bis vier Jahre zu überleben. Heute können zwar alle mit bis zu 45 Jahren mehr rechnen, der Abstand zwischen den Geschlechtern hat sich aber kaum verändert. „Dieser Nachteil der Männer hat seine Wurzeln in der Evolution“, so Alberts. Denn bei den meisten untersuchten Primaten überleben die Weibchen ebenfalls die Männchen.

„Warum lässt sich dieser Abstand nicht ausmerzen, obwohl wir das Leben so enorm verlängern konnten?“, so Alberts. Eine Frage, auf die die Forscherin selbst keine Antwort hat. Es gebe lediglich zahlreiche Hypothesen. Eine gibt der genetischen Ausstattung die Schuld: Da Männer und Männchen nur eine Kopie des X-Chromosoms besitzen, könnten sie schädliche Genvarianten nicht ausmerzen. Andere meinen, das geschlechtstypische, risikoorientierte Verhalten verhindere, dass Männer bei der Lebenserwartung endgültig aufholen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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