Gefrorene Spermien geben Hoffnung

Bis vor Kurzem war es nicht möglich, Schildkrötenspermien in flüssigem Stickstoff einzufrieren und danach wieder zum Leben zu erwecken. Nun ist das erstmals gelungen: Für bedrohte Arten könnte das die Rettung in letzter Sekunde sein.

Die Rettung und Nachzucht bedrohter Schildkrötenarten ist deklariertes Lebensziel des Biologen und Schildkrötenexperten Peter Praschag. In „Turtle Island“ – seiner Zucht- und Erhaltungsstation in Graz - haben knapp hundert der 350 weltweit noch bekannten Schildkrötenarten ein neues Zuhause gefunden. Viele davon freigekauft auf Fleischmärkten oder von Fischern in Asien – manche Tiere sind so selten, dass es weltweit nur noch wenige Exemplare gibt.

Alligator- oder Geierschildkröte

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Seit 40 Jahren in Turtle Island: eine Alligator- oder Geierschildkröte

Das Ziel: Zucht für freie Wildbahn

Praschag hat in Bangladesch, Indien und Vietnam Artenschutzprojekte initiiert. Seine Nachzuchterfolge sollen gefährdete Populationen weltweit stützen. Wie die heuer geschlüpften elf Batagur-Schildkröten, die nächstes Jahr in Bangladesch in die freie Natur entlassen werden sollen. Nie vorher war es gelungen, diese seltenen Tiere außerhalb ihrer Ursprungsländer nachzuzüchten.

Frisch geschlüpfte Batagur-Schildkröte

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Frisch geschlüpfte Batagur-Schildkröte

Doch bei vielen Arten ist keine Nachzucht mehr möglich, da es nur noch wenige Exemplare gibt. So begeisterte Praschag die Reproduktionsspezialisten Thomas Hildebrandt und Susanne Holtze vom Leibnitz-Institut für Zoo-und Wildtierforschung in Berlin für eine ehrgeizige Idee: Schildkrötensamen zu gewinnen, einzufrieren und wieder aufzutauen. Was bei Nashörnern, Elefanten oder Menschen gängige Praxis ist, wurde bei Schildkröten noch nie geschafft, geschweige denn publiziert.

Durchbruch im Labor

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichten auch Wissen aktuell, 22.11. um 13.55 Uhr auf Ö1; die ZIB 1 um 19.30 Uhr auf ORF 2 - sowie Universum „Turtle Hero – ein Leben für die Schildkröten“, ORF 2, 20.15 Uhr.

„Schildkröten haben nun mal keine Lobby, es gibt keine geschäftlichen Interessen, keine Industrie, die Interesse an kostspieliger Forschung hat – anders als bei Nashörnern und Elefanten, die zumindest als Zootiere Attraktionen sind.“ Und so machte sich das Team an die Pionierarbeit.

„Wir haben unterschiedlichste Gefrier-Medien probiert, wir wussten nicht, welche Temperaturen nötig sind, welche Streckmittel. Wir mussten unzählige Gefrierprotokolle schreiben, da dies alles ja noch nie versucht und dokumentiert wurde“, sagt Susanne Holtze, erfahrene Reproduktions-Expertin des Leibnitz Instituts in Berlin.

„Und es ist ja nicht so, dass Schildkrötensamen in großen Mengen zur Verfügung steht – den müssen sie ja mal gewinnen – und der ist kostbar“, ergänzt Teamleiter Thomas Hildebrandt.

Nil-Weichschildkröte bei der Absamung im Labor

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Nil-Weichschildkröte bei der Absamung im Labor

Und es gelang: ein Sample gefrorener Schildkrötensamen war wirklich nach dem Auftauen noch aktiv. Ein wissenschaftlicher Durchbruch. Es waren zwar nur fünf Prozent der Samen noch lebendig, aber das reicht für eine erfolgreiche künstliche Besamung – und gibt Hoffnung: Susanne Holtze: “Wir wissen nun, dass es möglich ist und es gibt noch großes Potenzial nach oben. Aber das Wichtigste ist, wir wissen wie wir Spermien gewinnen können, wie wir sie gefrieren müssen – und dass sie nach dem Auftauen auch noch leben!“

„Frozen Zoo“ als letzte Chance

Vollauf zufrieden ist auch Peter Praschag, der diesen Meilenstein in der Arterhaltung initiiert hat. „Von der Jangste-Weichschildkröte gibt es weltweit nur drei Exemplare, ich habe sie alle schon mehrmals besucht. Ein Pärchen in einem Zoo in China und ein Tier in Vietnam. Unmöglich sie zusammenzubringen – aus politischen Gründen und wegen der Entfernung. Diese Methode ist die letzte Chance, diese Art der Welt zu erhalten. Aber wir haben nun auch die Möglichkeit, einen Frozen Zoo – also eine Genbank mit Zellen und Spermien - anzulegen und können, falls eine Art auszusterben droht, auf diese Proben zurückgreifen.“

Der Penis – das große Mysterium

Für Rätsel sorgte der Penis des Männchens wegen seiner relativ beachtlichen Größe und der Tentakel, mit denen er ausgestattet ist. „Wir waren überrascht von der Dimension und vor allem der blütenmäßigen Form – wir haben keine Ahnung wozu das dient, das müssen wir noch studieren“, sagt Susanne Holtze.

Strahlen-Dreikielschildkröte im Computer-Tomographen

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Strahlen-Dreikielschildkröte im Computer-Tomographen

Aufklärung erhofft sich das Berliner Team vom Hochleistungs-Computertomographen an ihrem Institut. Demnächst wird Peter Praschag samt Nil-Weichschildkrötenweibchen nach Berlin reisen. Das Scannen der weiblichen Geschlechtsorgane soll verstehen helfen, wie Schildkröten-Weibchen und Männchen anatomisch zusammenpassen.

Kein Geld für Turtle Island?

Die Arterhaltungs- und Nachzuchterfolge von Praschags Turtle Island sind erfolgreich und weltweit anerkannt. Dennoch könnten sie schon bald ein Ende finden.

„Das Haus des Meeres hat unsere Forschungsarbeit dankenswerterweise unterstützt und in einem dreijährigen Projekt einen Tierpfleger bezahlt, doch dieses Projekt ist nun ausgelaufen", so Praschag.

"Die horrenden Stromkosten unserer zwei Häuser und das Pflegepersonal wurden bislang von der Stadt Graz subventioniert, doch die bevorstehenden Neuwahlen sind eine Katastrophe für uns. Denn das Budget für die Vereine ist blockiert – mein privates Geld habe ich in meine Projekte und in Turtle Island gesteckt. Ich habe hier so viele Arten, die nirgendwo auf der Welt wieder aufzutreiben wären. Müsste ich das aufgeben, wäre das nicht nur das sichere Aus für die seltenen Schildkrötenarten – sondern wahrscheinlich auch für mein Herz.“

Josef Glanz, science.ORF.at/Universum

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