Pharmahonorare: So kassieren Ärzte

Wie viel Geld erhalten Ärzte in Österreich von der Pharmabranche? Das war bis vor Kurzem unbekannt. Eine Analyse von ORF, „Der Standard“ und dem Recherchezentrum Correctiv.org zeigt nun: 2015 kassierten 3.500 Ärzte und Ärztinnen insgesamt 4,2 Millionen Euro.

Der größte Teil der Zahlungen - 19 Millionen Euro - geht aber nach wie vor an „unbekannt“.

Trotzdem sieht man Gesundheitsministerium keinen Reformbedarf. Es gebe Regeln, welche Zahlungen wofür erlaubt sind, so Sektionschef Gerhard Aigner auf Anfrage von Ö1. „Schauen wir einmal, ob man nicht mit diesen Regelungen das Auslangen findet.“ Am Prinzip, dass Pharmahonorare freiwillig offengelegt werden, will er nichts ändern, wie science.ORF.at berichtete. Dem würde auch das Datenschutzrecht derzeit widersprechen. Auch die Österreichische Ärztekammer und der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) will an den bestehenden Regeln festhalten. Alle rechnen damit, dass der Zahl jener Ärzte und Ärztinnen, die einer Offenlegung zustimmen, in den nächsten Jahren steigen wird.

Spitzenreiter mit 70.000 Euro

73.816,09 Euro - so viel hat Thomas Berger, stellvertretender Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie, im Jahr 2015 von Pharmaunternehmen bekommen. Er nimmt damit Platz eins unter jenen Ärzten und Ärztinnen ein, die Pharmahonorare offengelegt haben. „Ich bin als Wissenschaftler und Kliniker an einer Uniklinik tätig und pflege national und international viele Kontakte. Deshalb wundert mich diese Größenordnung nicht. Es ist überhaupt keine Frage, dass man an einer Universitätsklinik mit der forschenden Industrie zusammenarbeiten muss“, sagt der Spezialist für Multiple Sklerose auf Anfrage von Ö1. Geld für Vorträge, Beratungshonorare, Spesen und Fortbildungen sind in diesen rund 70.000 Euro enthalten. Einen Teil habe er an seine Arbeitsgruppe weitergegeben, ein Drittel sei letztlich bei ihm angekommen und ordnungsgemäß versteuert worden.

„Kein Geheimnis daraus machen“

72 Pharmaunternehmen haben für das Jahr 2015 offengelegt, an wen sie überwiesen - die Zustimmung des Arztes zur Offenlegung vorausgesetzt. „Ich persönlich habe immer gesagt, ich habe nichts zu verstecken. Und deswegen ist es mir ein Anliegen, aus diesen Themen - auch wenn man sich vielleicht auch unnötig exponiert - kein Geheimnis zu machen“, so Berger.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmen sich auch Beiträge im Morgenjournal am 30.11. um 7:00.

Auf Platz zwei in der Rangliste der offengelegten Pharmahonorare liegt der Lungenkrebsspezialist Robert Pirker von der Medizinischen Universität Wien mit rund 63.000 Euro, auf Platz drei mit 48.000 Euro Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Linzer Universitätsklinikums. Pirker betont auf Anfrage, das Geld „großteils für Weiterbildungsveranstaltungen für Kollegen und medizinischen Nachwuchs“ verwendet zu haben, möchte aber kein Interview geben. Lamprecht möchte nicht Stellung nehmen.

Ein Kodex mit Schwachstellen

Dass die Honorare von Berger, aber auch von rund 3.500 anderen Ärzten und - wenigen - Ärztinnen bekanntwurden, liegt an dem 2014 festgelegten Verhaltenskodex des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreich (Pharmig). Darin ist die Offenlegung von Zahlungen der Pharmabranche an Ärzte und Organisationen geregelt - allerdings nur für die Mitglieder der Pharmig. Außerdem sieht der Kodex keine patientenfreundliche Auflistung der Geldflüsse vor.

Recherchezentrum Correctiv.org:

Correctiv.org ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. Es finanziert sich vor allem durch Spenden von Bürgern und Zuwendungen von Stiftungen. In seinen Recherchen kooperiert Correctiv mit Zeitungen, Magazinen, Radio- und Fernsehsendern.

Wer wissen möchte, ob sein Arzt Honorare von der Pharmaindustrie bekommen hat, müsste die Websites der 115 Unternehmen einzeln nach dem jeweiligen Namen durchsuchen - sofern das überhaupt möglich ist. Denn viele Dokumente können vom Computer nicht gelesen - und damit auch nicht durchsucht - werden, etwa weil es sich um Scans von Ausdrucken handelt. Die Tageszeitung „Der Standard“, der ORF und das Recherchezentrum Correctiv.org haben diese Dokumente gesammelt und - wenn eine computergestützte Verarbeitung nicht möglich war - abgetippt, um sie hinsichtlich einzelner Namen auswerten zu können und eine öffentlich zugängliche Datenbank zu erstellen (siehe Kasten).

Spitzenplatz ist nicht gleich Topverdiener

Die Ärzte an der Spitze der nun vorliegenden Auswertung sind aber höchstwahrscheinlich nicht jene, die die höchsten Zahlungen bekamen. Denn nur von 18 Prozent aller an Ärzte und Ärztinnen geleisteten Zahlungen sind die Empfänger bekannt, der Rest - ganze 82 Prozent oder knapp 19 Millionen Euro - gingen an „unbekannt“. Von allen Klinikleitern und - den wenigen - Klinikleiterinnen haben nur rund 15 Prozent Pharmahonorare offengelegt.

Einer, der - durch Studien belegt - Honorare bezog, aber nicht offengelegt hat, ist der Wiener Krebsspezialist Christoph Zielinski, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin am AKH Wien. Um eine Stellungnahme gebeten, schreibt er: „Als Mitglied des Direktoriums der European Society for Medical Oncology (ESMO) bin ich eines der in Hinblick auf Offenlegung am meisten durchleuchteten Individuen in der Onkologie in Europa. Die Compliance-Richtlinien für die ‚Officers‘ der Gesellschaft können Sie der Homepage entnehmen. Nun denke ich, dass die Offenlegung auf dieser Basis UND auf jeder Publikation ausreichen muss, ohne noch weitere bürokratische Hürden nehmen zu müssen.“ Eine Summe nennt er aber nicht.

Der Brustkrebsspezialist Michael Gnant sieht es im Ö1 Morgenjournal grundsätzlich positiv, dass Unternehmen zur Offenlegung gesetzlich verpflichtet werden könnten. Bei einer Offenlegungspflicht für den einzelnen Arzt ist er aber skeptisch: „Ich denke, dass wir im Umgang mit persönlichem Einkommen nicht jene Transparenz haben wie zum Beispiel die skandinavischen Länder oder die Niederlande. Daher muss man mit Behutsamkeit die Argumente abwägen.“

Umstrittener Einfluss

Inwieweit Honorare von Pharmafirmen das Verhalten von Ärzten und Ärztinnen beeinflussen, ist umstritten. Die Betroffenen selbst weisen eine Einflussnahme stets von sich. Eine deutsche Studie kam allerdings zu dem Schluss, dass Ärzte, die mehr Pharmareferenten empfangen, mehr Medikamente verschreiben. Experten fordern deshalb schon länger analog zu den USA eine gesetzliche Pflicht für Pharmaunternehmen, alle Zahlungen offenzulegen.

Elke Ziegler, Ö1 Wissenschaft

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