Christkind: Dürfen Eltern lügen?

Die Lügen rund ums Christkind können Kinder sehr enttäuschen, wenn sie eines Tages die Wahrheit erfahren - behaupten britische Forscher. Das stimme zum Teil, sagt eine Wiener Psychologin. Vor allem, wenn Eltern versuchen, Christkind und Co. „zu beweisen“.

Übermorgen kommt das Christkind oder der Weihnachtsmann und bringt Geschenke. So lautet die Geschichte, die viele Eltern ihren Kindern erzählen. Aber dürfen sie das überhaupt? Diese Frage wurde in der Vorweihnachtszeit immer wieder gestellt. Einen Anstoß dazu lieferten heuer die beiden Psychologen Christopher Boyle und Kathy McKay. In einem in „Lancet Psychiatry“ erschienenen Artikel schrieben sie, dass es das Vertrauen der Kinder erschüttern könnte, wenn sie dahinter kommen, dass das alles nicht stimmt. Schließlich stelle sich die Frage, wann haben Mama und Papa noch gelogen?

Im Normallfall ist die Enttäuschung für Kinder gut verkraftbar, entgegnet die klinische Psychologin Hedwig Wölfl auf Nachfrage von science.ORF.at. Es gebe aber einen Unterschied zwischen Geschichte und Lüge, den Eltern beachten sollten.

science.ORF.at: Sie haben selbst drei Kinder. Haben Sie ihnen vom Christkind erzählt?

Hedwig Wölfl: Ich habe mit ihnen natürlich rund um Weihnachten bestimmte kulturelle Rituale gefeiert und tue das auch heute noch. Es stand aber stets das gemeinsame Feiern bzw. das sich gegenseitig Beschenken im Vordergrund. Dass es Figuren wie das Christkind wirklich gibt, habe ich ihnen nie vorgegaukelt.

Meine Kinder haben eigentlich beides mitbekommen: Einerseits, dass die Geschenke die Mama oder jemand anderer macht bzw. den Baum schmückt. Andererseits wollten bzw. wollen sie daran glauben, dass das etwas Magisches ist, das vom Himmel kommt, obwohl ich das nie forciert habe. Meine Kinder schreiben auch einen Wunschzettel.

Zur Person

Hedwig Wölfl studierte Psychologie an der Universität Wien und absolvierte anschließend ihre Ausbildung zur klinischen Psychologin. Seit 2015 ist sie Geschäftsführerin des Kinderschutzzentrums „Die Möwe“

Wenn Sie es nicht forciert haben, woher haben Ihre Kinder ihren Glauben an das Christkind?

Erzählungen von Verwandten und anderen Erwachsenen, Geschichten aus Büchern oder von Kindern, man kommt dem kaum aus. Aus psychologischer Sicht muss man sagen, dass Kinder diese Ambivalenz keineswegs stört. Auch wenn sie Bescheid wissen, können sie an das Magische glauben und daraus mehr Vorfreude für sich generieren.

Ein anderes Beispiel: In vielen Wiener Kindergärten wird einer der Betreuer von den Kindern selbst als Nikolaus verkleidet, der dann etwas in dieser Verkleidung zu ihnen sagt oder ihnen etwas schenkt. Es funktioniert wie in einem Theaterstück und so ist es auch bei den Figuren wie dem Christkind oder dem Weihnachtsmann - wir inszenieren quasi ein Theaterstück mit virtuellen oder auf den Christkindlmärkten zum Teil echten Schauspielern. Das funktioniert vor allem bei Kindern sehr gut, die dem magischen Denken altersbedingt stark verhaftet sind.

Wann ist die Phantasie der Kinder am stärksten?

Der Höhepunkt liegt zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr, wobei Teilaspekte oft bis ins höhere Volksschulalter mitgenommen werden. Diese Phase ist entwicklungspsychologisch sehr wichtig und bedeutet einfach, dass zu dieser Zeit in der kindlichen Vorstellung alles möglich ist: sowohl die Monster unterm Bett als auch das Christkind, das Geschenke bringt. Erzählt man Kindern von Figuren, wie sie in Märchen oder Weihnachtsgeschichten auftreten, bzw. inszeniert die Umgebung dieser Geschichten mit, verstärkt das das magische Denken.

Das bringt mich zur eigentlichen Frage: Schadet man damit Kindern bzw. der Eltern-Kind-Beziehung, weil der Nachwuchs den Eltern dann misstraut, so wie es britische Wissenschaftler behaupten?

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet ich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 22.12. um 13:55.

Manche Menschen sprechen hier von einer Lüge. Im Grunde müsste man aber sagen, es ist eine Täuschung, weil für eine Lüge meistens die aktive Falschaussage fehlt. Aber es wird natürlich etwas inszeniert, manchmal auch vorgegaukelt, was nicht der Wirklichkeit entspricht.

Schädlich für Kinder kann es dann sein, wenn ihre Realitätswahrnehmung absichtlich verwirrt wird. Vielleicht sogar bis in das höhere Volksschulalter. Es ist also nicht empfehlenswert, wenn Eltern immer wieder scheinbare Beweise liefern und behaupten, sie hätten das Christkind oder den Weihnachtsmann gesehen, oder Engelshaar dorthin legen, wo der Wunschzettel zuvor lag etc.

Das verwirrt die Wahrnehmungsfähigkeit. Außerdem geht es im Volksschulalter darum, Wahrheit und Phantasie auseinander halten zu lernen - das ist ein sehr wichtiger Entwicklungsprozess. Bewusstes Belügen kann sich ungünstig auf die Realitätswahrnehmung auswirken bzw. einen Vertrauensverlust in die Eltern bedeuten.

Das heißt, der Schlüssel ist es, die Phantasiewelt den Kindern selbst zu überlassen, mitzutun und nicht zu viel vorzugeben?

Es geht darum, hier ein Maß zu finden. Natürlich gibt es in jeder Familie auch eigene kleinere Inszenierungen und Rituale. Ich denke, man kann hier tolerant sein. Außerdem sind die Enttäuschungen und Freuden rund um diesen Glauben ans Christkind in den allermeisten Fällen sehr ausgewogen und im Sinne einer gesunden, psychischen Entwicklung gut verkraftbar.

Kinder schaffen sich ihre eigene Phantasie und verlassen diese auch wieder, diesen Prozess soll man begleiten. Man darf das auf keinen Fall nur negativ sehen, es gehört zum Älterwerden dazu, Dinge besser verstehen zu lernen und Klarheit zu bekommen. Auch wenn es ein wenig enttäuschend sein kann. Nicht zuletzt sind aber auch viele Kinder stolz darauf, dass sie hinter dieses unlösbare Geheimnis gekommen sind. Wie die Geschenke ins Zimmer kommen, wie der Brief wegkommt und warum ich bekomme, was ich mir gewünscht habe. Für manche ist das ein Zeichen, dass sie jetzt „schon groß sind“.

Was ist eigentlich, wenn Kinder nicht bekommen, was sie sich wünschen?

Wenn Erwachsene Kinder dazu anhalten, Wunschbriefe zu schreiben, dann sollten sie das auch ernst nehmen – wie wir prinzipiell Wünsche und Bedürfnisse von Kindern ernst nehmen und nur Dinge versprechen sollten, die wir auch einhalten können.

Kinder können aber natürlich lernen, dass nicht alles, was sie sich gewünscht haben, erfüllt wird. Je älter Kinder werden, desto mehr kann man das auch ausverhandeln und fragen, was sie da genau wollen oder ihnen sagen, wenn etwas zu teuer ist.

Zumindest jene Wünsche sollte man erfüllen, die dem Kind am wichtigsten sind und es besonders freuen. Grundsätzlich ändert sich das auch im Erwachsenenalter nicht. Immerhin bekommen wir auch gerne Dinge, die wir wirklich wollen oder wo wir sehen, da hat sich jemand Zeit genommen und Gedanken gemacht. Es bedeutet Liebe und Zuwendung. Wenn das in einer Kultur da ist, kann das nur förderlich sein.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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