Essen zwischen Effizienz und Genuss

Eine Pille, die eine Mahlzeit ersetzt, im Labor gezüchtetes Fleisch, das dennoch schmeckt - solche Zukunftsideen sind heute nicht mehr Science-Fiction. Noch ist die Technologie nicht ganz so weit, aber Forscher arbeiten weltweit daran.

Neun Milliarden Menschen sollen bis 2050 die Erde bevölkern. Das sind etwa zwei Milliarden mehr, als es heute zu ernähren gilt. Gerade in der traditionellen Landwirtschaft geht dafür langsam der Platz aus, vor allem wenn man den Schutz von Artenvielfalt, Umwelt und Klima ernstnehmen will, meint Systemökologe Michael Obersteiner, vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien (IIASA).

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Dem Thema widmet sich auch das Radiokolleg vom 16. bis 19.1.2017 um 9.30 Uhr.

Das gilt gerade für die Viehwirtschaft, auf die heute schon rund 17 Prozent der Treibhausgasemissionen zurückgehen. Nun könnte man entweder auf anderes Tierfutter umstellen, z. B. auf Algen. Die könnte man produzieren, ohne weitere Landfläche zu erschließen. „Oder es fällt uns etwas ganz Neues ein“, sagt Obersteiner, z. B. künstliches Fleisch. Und das ist gar keine Utopie mehr.

Fleisch aus dem Reagenzglas

Schon im August 2013 machte die Verkostung des ersten im Labor der Universität von Maastricht gewachsenen Fleischlaibchens Schlagzeilen - allein schon wegen der Kosten von rund 250.000 Euro. Mittlerweile ist der Preis aber schon deutlich gesunken, erklärt Uma Valeti, Gründer der Firma Memphis Meats, die Zellkulturfleisch herstellt und auf den Markt bringen möchte.

Allerdings würde ein Zellkultur-Burger auch heute noch ein paar tausend Euro kosten: „Also derzeit ist es teuer, weil wir nur kleine Mengen produzieren. Außerdem sind einige der nötigen Nährstoffe für die Zellen sehr teuer, z. B. manche Vitamine, Mineralien oder Insulin“, sagt Valeti. Um das Fleisch herzustellen, entnimmt man Tieren - ohne ihnen dabei langfristigen Schaden zuzufügen - sogenannte Satellitenzellen aus den Muskeln, die sich erneuern können, aber anders als Stammzellen nur zu Muskelzellen werden können.

Diese bekommen eine Nährstoffmischung, ähnlich wie ein Tier sie braucht. Man muss aber zudem Stoffe beifügen, wie Insulin, die Kuh, Schwein oder Huhn selbst produzieren. Valeti hofft, dass man das Memphis-Meats-Fleisch in etwa fünf Jahren in Geschäften kaufen kann - zunächst noch eher im Luxussegment. Vor allem schwärmt der frühere Kardiologe von den gesundheitlichen Vorteilen des kontrolliert hergestellten Fleisches - keine fäkalen Verunreinigungen, keine Antibiotika oder Stresshormone im Fleisch, keine Tierepidemien.

Tierprodukte ohne Tiere

Die Pläne enden nicht beim Fleisch. Auch Milch, Eiweiß, Seide und Leder sollen künftig ohne Tiere hergestellt werden - denn warum ein ganzes Tier züchten, wenn man einfach nur den Teil wachsen lassen könnte, den man nutzen will - so das grundlegende Argument der Vertreter der „zellulären Landwirtschaft“.

Statt aus der Viehwirtschaft könnten Fleisch und Milch in ein paar Jahrzehnten schon aus der Zellwirtschaft kommen - zum Beispiel aus der Brauerei ums Eck. Die Milchfirma Perfect Day etwa arbeitet daran, Milch mit Hilfe von Hefezellen herzustellen, das funktioniere fast genauso wie Bier brauen, erzählt Firmenmitgründer Perumal Gandhi. Man füge DNS aus den Euterzellen in die Hefezellen ein - bringe sie also gewissermaßen dazu, sich für Euterzellen zu halten - und füttert sie mit Zucker, der statt zu Alkohol dann zu Milch werden soll.

Keine Zeit fürs Kochen

Zu aufwändig mag das für die Fans von Vollernährungspulvern klingen. Waren Ersatznahrungsprodukte früher eher in der Medizin und Raumfahrt interessant, ist es seit einigen Jahren ein aufkommender Trend in der breiteren Gesellschaft. Angestoßen wurde er in den USA - Rob Rhinehart schart eine internationale Community um sich, wenn er in einem Blog seine Experimente mit Nährstoffmischungen dokumentiert. Viele andere wünschten sich genauso, sie müssten weder viel Geld noch viel Zeit investieren, um sich einfach und gesund zu ernähren.

Komplettnahrungsmittel in Pulverform

AFP PHOTO/Josh Edelson

Komplettnahrungsmittel in Pulverform

Mittlerweile vertreibt Rhinehart das Komplettnahrungsmittel Soylent. Neben dem stetig optimierten Ernährungspulvern gibt es auch Fertigdrinks und Mahlzeitenriegel - alle möglichst ausgewogen. Dutzende Firmen bieten auch in Europa Produkte dieser Art an - etwa in den Niederlanden, Tschechien, Frankreich und Großbritannien -, und scheinen damit auch erfolgreich sein.

Ernährungswissenschaftler geben aber zu bedenken, dass wir überhaupt nicht wüssten, was wir wirklich alles brauchen, oder wie einzelne Nährstoffe sich im Zusammenspiel auswirken: Grundsätzlich sei das Produkt in Ordnung, meint etwa Jürgen König von der Universität Wien. Aber man wisse nicht, was beispielsweise viele sekundäre Pflanzenstoffe für unseren Körper tun, die allesamt nicht in diesen Produkten enthalten sind. Auch die soziale und psychologische Komponente von Essen werde damit überhaupt nicht bedient. Für die Versorgung mit Nährstoffen - als Alternative zu Fast Food - seien solche Produkte aber wahrscheinlich sinnvoll.

Grundnahrungsmittel der Zukunft

Und so stellt sich auch Rhinehart die Rolle von „Soylent“ vor - ein neues Grundnahrungsmittel für die Zukunft, das so leist- und verfügbar wie Wasser werden kann, aber nicht alle Mahlzeiten ersetzen soll, sondern nur jene, die wir ohnehin nicht richtig genießen.

Genuss - das Mundgefühl, das Aussehen das Aroma -, das ist immerhin so wichtig für Menschen, dass selbst die Raumfahrt schon längst von der reinen Effizienz abgekommen ist, wie Gernot Grömer vom Österreichischen Weltraumforum erzählt. Mussten sich Raumfahrer zunächst mit Pasten aus Tuben begnügen, setzt man derzeit auf gefriergetrocknete Mahlzeiten, die sich mit Wasser wieder nahezu als ursprüngliches Essen genießen lassen.

In der Zukunft sei es bei Langzeitmissionen, etwa zum Mars, denkbar, dass der 3-D-Essensdruck Einzug halten wird. Manche Algenarten ließen sich etwa mehrfach nutzen: Sie könnten Sauerstoff produzieren und Proteine als Grundlage bieten für Essensdrucker, die von der Pizza bis zum Kuchen mit entsprechenden Zusätzen die heimelige Erdküche ins All bringen könnten.

Hervé This in seinem Labor

Isabella Ferenci, Ö1

Herve This in seinem Labor

Der wissenschaftlich optimierte Genuss steht auch im Fokus von Herve This, dem „Vater der molekularen Küche“. In seinem Labor mit seiner Note-a-Note Cuisine arbeitet er derzeit daran, von Grund auf - d. h. auf molekularer Ebene - Gerichte und Geschmäcker neu zusammenzusetzen, und so noch nie da gewesene Gaumenfreuden zu schaffen. Es gebe wohl allein 10.000 Aromamoleküle und die Möglichkeit, mit Farbe und Textur zu experimentieren. Ein neuer Kontinent tue sich vor uns auf. This meint, man müsse nicht immer versuchen, Speisen, die es schon gibt, zu imitieren. Man könne ganz neue, eigene schaffen.

Essen und Gesellschaft

Jene, die an der Zukunft unserer Nahrung arbeiten, sind sich sehr bewusst, dass sie auf Traditionen und Kulturen von Essen aufbauen. Viele Menschen, die heute aufwachsen, würden wohl nicht auf Fleisch verzichten, zu tief verankert sei es in traditionellen Küchen und feierlichen Mahlzeiten verschiedener Kulturen. Genauso verstehen alle, dass nichts den Genuss einer frischen Tomate oder Erdbeere ersetzen kann oder sollte. Aber das grundlegende System der Nahrungsmittelproduktion und der Verteilung - das müsse sich ändern.

Der Systemökologe Michael Obersteiner gibt zu bedenken, dass die Nahrungsmittelproduktion und die Wirtschaftsform einer Gesellschaft eng verwoben sind. Auch hierzulande hätte sich in den 1950ern eine agrarische in eine industrielle Gesellschaft gewandelt, begleitet von strategischen Maßnahmen. Dieses Bewusstsein und auch die Infrastruktur würden aber in vielen Entwicklungsländern fehlen. Dabei stünden wir ohne Frage - aus Gründen der Welternährung und des Umweltschutzes - vor einer weiteren Revolution in der Landwirtschaft.

Wir müssen und werden die Produktivität wohl weiter steigern, und das führe zu einem Zwiespalt. Denn damit wartet laut Obersteiner eine „soziale Bombe“: Hunderte Millionen Menschen in Entwicklungsländern würden schnell ohne Aufgabe dastehen. Denn viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft werden verschwinden, die in Entwicklungsländern große Teile der Bevölkerung unterhält. Um die Zukunft in die richtigen Bahnen zu lenken, ist jetzt die Zeit, sich die Möglichkeiten der schönen neuen Welt vorzustellen und sich dann für das Menü der Zukunft weise zu entscheiden.

Isabella Ferenci, Ö1 Wissenschaft

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