Wie „Säuberung“ den Unis schadet

In der Türkei geht die „Säuberung“ der Universitäten von „Terror-Sympathisanten“ weiter. Das generelle Ausreiseverbot für Wissenschaftler ist zwar vorbei, aber Ausbildung und Lehrbetrieb nehmen bereits Schaden, wie Kritiker meinen.

Ein Notstandsdekret unterschrieben von Präsident Erdogan hat die vorerst letzte Runde in der politischen Zähmung türkischer Universitäten eingeläutet. 330 wissenschaftliche Mitarbeiter verlieren ihre Posten. Eine Kundgebung von Akademikern auf dem Gelände der Universität in Ankara wird von der Polizei mit Gewalt aufgelöst. Kleinere Demos an anderen Hochschulen ebenfalls. Öffentlicher Protest während des bereits zweimal verlängerten Ausnamezustands wird nicht geduldet.

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Über dieses Thema berichtet auch das Ö1-Mittagsjournal, 13.2., 12:00 Uhr.

„Seit dem Putschversuch vom 15. Juli sind 5.000 Unimitarbeiter gefeuert wurden“, sagt Uraz Aydin, Soziologe an einer Istanbuler Universität. „In der Türkei wurde in der Vergangenheit dreimal geputscht. Dabei wurden insgesamt 250 Unilehrer entlassen. Jetzt sind es damit bereits 20 Mal so viele.“

Auslandsreisen müssen genehmigt werden

Aydins Name steht ebenfalls auf der Liste jüngst entlassener Hochschullehrer. Offizielle Begründung: Er sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit, ein Terrorunterstützer. Aydin war schon mehrmals wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten im Visier der Behörden.

Vor einem Jahr hatte er gemeinsam mit mehr als eintausend Akademikern eine scharf formulierte Protestnote gegen das Vorgehen der Staatsmacht in den Kurdengebieten unterschrieben. Das war den Mächtigen zu viel. Gemeinsam mit seinem Job hat Aydin auch seinen gültigen Reisepass verloren. Er kann die Türkei nicht verlassen.

Die nach dem Putsch verhängte generelle Ausreisesperre für türkische Wissenschaftler ist mittlerweile zwar aufgehoben. Wer etwa zu Kongressen ins Ausland will, muss bei der Uni-Leitung allerdings jedes Mal um Erlaubnis anfragen.

Angriff auf kritisches Denken

An den Universitäten hört man Klagen, dass immer mehr qualifiziertes Lehrpersonal fehlt und wichtige Lehrveranstaltungen nicht mehr stattfinden können. Entlassene Professoren halten ihre Vorlesungen jetzt in Kaffeehäusern ab. Oder machen Unterricht per Skype-Schaltung.

Die Kampagne der Regierung sei ein Angriff auf kritisches Denken, auf die gesamte türkische Gesellschaft sagt Uraz Aydin. „Sie versuchen schon länger islamisch-konservatives Personal an den Unis zu installieren. Jetzt schaffen sie dafür Platz. Die Unis werden von Oppositionellen und Andersdenkenden gesäubert. Viele der neuen Lehrer, die jetzt kommen, sind unqualifiziert, aber sie passen zum Regime. So entstehen der Regierung genehme Unis und Bildungseinrichtungen.“

Die politische Atmosphäre, vor allem natürlich auch die vielen Anschläge halten immer mehr ausländische Studenten vor einem Studienaufenthalt in der Türkei ab. Was es umgekehrt auch schwieriger macht für türkische Studenten, die im Rahmen von Austauschprogrammen im Ausland studieren wollen.

Jörg Winter, ORF Istanbul

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