Wir sehen aus, wie wir heißen

Susi, Siegfried oder Senta: Bei Vornamen schwingen immer auch Bedeutungen mit. Wie stark, zeigt eine neue spektakuläre Studie: Versuchspersonen konnten mit erstaunlicher Trefferquote unbekannten Gesichtern den richtigen Namen zuordnen.

Menschen sind durch und durch soziale Wesen – so könnte man die neue Studie zusammenfassen. „Von der Minute unserer Geburt sind wir sozial strukturiert“, sagt Mitautorin Ruth Mayo von der Hebrew University of Jerusalem. „Und zwar nicht nur durch Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomischen Status, sondern einfach durch den Namen, den andere für uns gewählt haben.“

Dorian-Gray-Effekt

Man soll Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen: Das wird schon Kindern gelehrt. Dennoch tun es die meisten die ganze Zeit. Vom Aussehen wird dann auf innere Werte geschlossen: etwa auf Liebenswürdigkeit, Intelligenz oder soziales Verhalten. Der Effekt kann aber auch in die andere Richtung gehen und innere Werte können das äußere Erscheinungsbild beeinflussen.

Studie

”We Look Like Our Names: The Manifestation of Name Stereotypes in Facial Appearance”, Journal of Personality and Social Psychology, 27.2.2017

Wie das Team um Mayo berichtet, nennt sich das in der Psychologie „Dorian-Gray-Effekt“: So wie die Taten der Romanfigur von Oscar Wilde das „Bildnis des Dorian Gray“ verändern, kann sich auch im echten Leben die Persönlichkeit in das Äußere von Menschen „einzeichnen“. In ihrer Studie erweitern die Forscher den Begriff dieses Effekts: Nicht nur bereits erworbene Eigenschaften drücken sich körperlich aus, sondern bereits soziale Erwartungen sind dazu imstande.

Namen zu Porträtfotos zuordnen

Um das herauszufinden, hat das Team um Mayo eine Reihe von Experimenten durchgeführt. U. a. zeigten sie Hunderten Versuchspersonen Porträtfotos und eine Auswahl von vier bis fünf Namen. Aufgabe war es, den passenden Namen für den Menschen auf dem Foto zu erraten. Die Probanden schafften das deutlich häufiger als nach dem Zufallsprinzip zu erwarten gewesen wäre, nämlich je nach Experiment in 25 bis 40 Prozent der Fälle. Hätten sie bloße Zufallstreffer gelandet, hätte die Quote nicht mehr als 20 bis 25 Prozent betragen dürfen.

Eines der verwendeten Porträtfotos

Yonat Zwebner et al, Journal of Personality and Social Psychology

Eines der verwendeten Porträtfotos: Wie heißt dieser Mann? a) Jacob b) Dan c) Josef d) Nathaniel e) Alon (richtige Antwort: b)

Dass dies mit sozialen Erwartungen zu tun hatte, zeigte sich in einem weiteren Experiment. Dabei wiederholten die Forscher die Versuche in Israel und in Frankreich und stießen auf kulturelle Stereotype: Französische Testpersonen konnten nur französische Namen und Gesichter gut zuordnen, israelische Versuchspersonen nur hebräische.

Schließlich fanden die Wissenschaftler heraus, dass einzelne kontrollierbare Charakteristika eines Gesichts - etwa die Frisur - ausreichten, um die Trefferquote bei der Namenszuordnung zu erhöhen, und dass auch Computer lernen konnten, welche Gesichter zu welchen Namen passen. Das Programm, das sie mit fast 100.000 Gesichts-Namen-Paaren trainiert hatten, erreichte bei der Zuordnung eine Trefferquote von 54 bis 64 Prozent.

Erklärung: Erwartungen werden Realität

Wie sind nun die erstaunlichen Ergebnisse zu erklären? Für die Forschergruppe um Ruth Mayo sind Namen „soziale Etiketten“. Sie werden den Babys zu einem Zeitpunkt „umgehängt“, wo sie entweder noch gar nicht geboren sind oder sich körperlich voneinander wenig unterscheiden.

Mit dem „Etikett des Namens“ gehen soziale Erwartungen einher: Frühere Studien haben z.B. bewiesen, dass Frauen namens Katherine in den USA erfolgreicher gelten als Frauen, die Bonnie heißen. Menschen treten den „Katherines“ anders gegenüber als den „Bonnies“, sie sprechen anders mit ihnen, sie verhalten sich anders, und irgendwann prägt das unterschiedliche Verhalten der Umgebung ihre Persönlichkeit: eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die selbst die Gesichtszüge der „Katherines“ und „Bonnies“ verändert.

„Die Menschen entwickeln mit der Zeit ein Aussehen, das den Assoziationen ähnelt, die mit ihrem Namen verbunden sind“, fassen es die Forscher zusammen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at; Material: dpa

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