Schnellere Gewissheit durch Spezialzentren

400.000 Menschen haben in Österreich eine seltene Erkrankung, für sie bedeutet das oft lange Irrwege von Arzt zu Arzt. Darauf machen Selbsthilfeorgansationen am Welttag der Seltenen Erkrankungen aufmerksam. Spezialzentren sollen abhelfen.

Rund 8.000 verschiedene seltene Erkrankungen kennt man, sie kommen höchstens einmal unter 2.000 Menschen vor. Der Großteil wird durch eine angeborene Veränderung im Erbgut ausgelöst. Eine davon ist Muskeldystrophie Duchenne, an der einer von 3.500 Buben erkrankt. Ausgelöst wird die Krankheit durch einen Fehler im Erbgut, der sich nur bei Buben auswirkt. Ein Eiweiß wird nicht gebildet, wodurch die Muskeln immer schwächer werden und die Sehnen sich verkürzen.

Ö1 Sendungshinweis:

Über seltene Erkrankungen berichtete auch das Mittagsjournal, am 28.2. um 12:00.

Die Krankheit ist nicht heilbar, aber die Lebenserwartung ist gestiegen, sagt Günther Bernert, Spezialist für seltene Muskelerkrankungen am Preyerschen Kinderspital in Wien. „Die Lebenserwartung war früher zwölf bis maximal 20 Jahre. Jetzt kann man von einer Lebenserwartung von zirka 30 Jahren ausgehen, vielfach ist sie aber schon höher.“ Das merke man auch daran, dass immer mehr Betroffene die Schule abschließen und eine Berufsausbildung machen, so Bernert.

Aktionsplan für Seltene Krankheiten

Nachdem von einer seltenen Erkrankung nur relativ wenige Menschen betroffen sind, lohnt es sich für die Pharmaindustrie kaum, in die Entwicklung von Medikamenten zu investieren. Grundlagenforschung ist deshalb einer der Schwerpunkte des nationalen Aktionsplans für Seltene Erkrankungen, erstellt vor zwei Jahren vom Gesundheitsministerium.

Veranstaltung:

Um auf seltene Erkrankungen aufmerksam zu machen, findet am 4. März 2017 ein Fest in Wien statt.

Außerdem will er Fachwissen in Form von sogenannten Expertisezentren bündeln und diese Einrichtungen sowie assoziierte Zentren europäisch vernetzen. Der Aktionsplan schreibt eine Reihe von Anforderungen vor, die Spezialeinrichtungen zu erfüllen haben - zwei wurden in Österreich bereits anerkannt, eines zu genetisch bedingten Hauterkrankungen in Salzburg und eines zu Blutkrebs bei Kindern in Wien. Rund 25 weitere zu anderen seltenen Erkrankungen durchlaufen gerade den Anerkennungsprozess. Damit sollen auch Betroffene kompetente Anlaufstellen haben und nicht länger von Arzt zu Arzt irren.

Betreuungsfaktor Zeit

Fachwissen zu vernetzen, neue Medikamente und Therapien zu entwickeln, ist wichtig, sagt Muskelspezialist Günther Bernert. In der klinischen Praxis wird aber ein anderer Faktor immer kritischer: die Zeit. „Seltenen Erkrankungen Aufmerksamkeit zu widmen erfordert Zeit, und da merken wir, dass wir vieles kaum mehr schaffen.“

Allein im Preyerschen Kinderspital sind derzeit 204 Patientinnen und Patienten mit seltenen Muskelerkrankungen in Behandlung, 87 mit Muskeldystrophie Duchenne.

Hoffnung aus der Forschung

Der Dachverband der Selbsthilfeorganisationen, Pro Rare Austria, ergänzt die Forderung nach mehr Zeit um jene nach mehr Information für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, damit sie seltene Erkrankungen kennen und Betroffene möglichst rasch zu den spezialisierten Stellen vermitteln. Außerdem bräuchten Betroffene und ihre Familien psychologische Begleitung, aber auch hier sind kompetente Personen schwer zu finden.

Nach vielen Jahren Grundlagenforschung ist es gelungen, für rund ein Zehntel der Duchenne-Patienten ein neues Medikament zu entwickeln, das den Fehler im Erbgut überbrückt. Dadurch kann Muskeleiweiß vom Körper produziert werden - ein Durchbruch, der auch für andere seltene Krankheiten hoffen lässt, so Muskelspezialist Günther Bernert: „Es gibt berechtigte Hoffnung, dass dieses Werkzeug, das für Muskeldystrophie Duchenne entwickelt wurde, auch bei anderen Krankheiten mit einem genetischen Lesefehler eingesetzt werden kann.“

Elke Ziegler, science.ORF.at

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