Wie man Traumata behandeln kann

Krieg, Vergewaltigung, der Tod eines geliebten Menschen: Traumata können viele Ursachen haben. Welche Behandlungen am meisten Erfolg versprechen, beschreibt der Philosoph Alexander Hippmann in einem Gastbeitrag.

Während dem Menschen die Sternstunden des Lebens immer zu rasch vergehen und sie als flüchtig wahrgenommen werden, so helfen sie ihm dennoch ein positives Gefühl für die eigene Lebensspanne aufzubauen. Das Gegenteil ist nach der Psychoanalyse das Ergebnis traumatischer Erfahrungen.

Porträtfoto des Philosophen Alexander Hippmann

Alexander Hippmann

Über den Autor

Alexander Hippmann ist Habilitand im Fach Philosophie und Geschäftsführer des Weiterbildungsinstituts Wien. Publikation: Der Traum in Philosophie und Psychoanalyse. Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften 2009

Im Falle kurzer starker Gewalterlebnisse begegnet man einer fast unerträglichen Ausdehnung der Zeit im Moment des Traumas selbst und danach in sich wiederholenden „Flashbacks“, als würde die Zeit einfach stillstehen. Bei lang andauernden traumatischen Situationen, z. B. des sexuellen Missbrauchs, begegnet der Psychoanalytiker, was die Behandlungsmöglichkeit betrifft, noch schwereren Folgen. Die Patienten verlieren fast gänzlich das Interesse sich zu entwickeln, zu ihrem eigenen Leben selbst etwas Positives beitragen zu wollen, und bleiben auf diese Weise, ohne überhaupt neue Erfahrungen sammeln zu wollen, stehen.

Unerträgliches „Zuviel“ und „Zuwenig“

Im Umgang mit traumatisierten Menschen und damit den Fragen, wie sie behandelt werden können, rückt der Begriff des Traumas und der einschlägigen Theorien zunehmend in den Vordergrund. In den 5. Maimonides Lectures der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist der italienische Psychoanalytiker Jorge Canestri der Frage nachgegangen, wie sich dieser Begriff und die Behandlungsmethoden aus dem Umgang mit traumatisierten Menschen entwickelten und wie diese psychischen Wunden damit nun behandelt werden können.

Ausgehend von den traumatischen Situationen und den Konsequenzen für die einzelnen Patientinnen und Patienten erläuterte der Präsident der Europäischen Psychoanalytischen Föderation die verschiedenen therapeutischen Techniken der Psychoanalyse. Er hinterfragte dabei auch, ob sich Traumata immer mit einem nicht mehr zu bewältigenden „Zuviel“ des traumatischen Ereignisses verknüpfen lassen, und erinnerte daran, dass es neben dem Zufügen von Gewalt und Missbrauch auch ein unerträgliches „Zuwenig“ geben kann. Denn es kann auch einen Mangel an Zuwendung und Aufmerksamkeit geben, den eine Person nicht ertragen kann.

Frühkindliche Bindungen von zentraler Bedeutung

Zu den bedeutenden Theorien rund um den Begriff des Traumas zählt Jorge Canestri die vom Psychoanalytiker John Bowlby Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte Bindungstheorie. Denn um sehr schwierige und traumatische Ereignisse zu bewältigen, bedarf es vielfach eines Bezugs, einer emotionalen, oft inneren Bindung zu einer Person, die sich ihrerseits den entstandenen Problemen stellen kann.

Jorge Canestri bei seinem Vortrag an der ÖAW

Franz Morgenbesser

Jorge Canestri bei seinem Vortrag an der ÖAW

Die Bindungstheorie macht auf die zentrale Bedeutung des Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter oder einer entsprechend fürsorglichen Bezugs- oder Bindungsperson aufmerksam. Die Mutter kann Sensibilität für das Kleinkind und seine emotionalen Zustände zeigen und auf diese empathisch eingehen.

Damit ist sie von zentraler Bedeutung für das Kleinkind, denn bereits oder gerade in diesen frühen Verhältnissen können sich Trennungen und Abwesenheiten sehr schwer bis traumatisch auswirken. Erlebte sichere Bindungen zu fürsorglichen Bindungspersonen sind, wenn man auf sie in der Bewältigung traumatischer Situationen zurückgreifen kann, daher von großer Bedeutung.

Hier ergab sich auch ein Übergang zum Thema der Maimonides-Lectures: dem Gespräch zwischen den abrahamitischen Religionsgemeinschaften und den Wissenschaften. Denn ein Teil der Zuhörerinnen und Zuhörer wird, wenn wissenschaftlich auf Zuwendung und das Verhältnis zum Anderen eingegangen wird, auch an das Gebot der Nächstenliebe in den Religionen gedacht haben.

Aktives Zuhören gegen blanke Stellen in der Erinnerung

Mit Blick auf die Behandlungsmethoden und ihr gemeinsames Merkmal betonte Jorge Canestri das „aktive Zuhören“. Die im Zuge der Traumatisierung tätigen Prozesse bezeichnete er zwar als psychische Vorgänge, jedoch als Vorgänge mit anti-psychischen Folgen. Denn ihr Ergebnis sind große Erinnerungslücken oder vielmehr „blanke Stellen“, an denen es gar kein psychisches Funktionieren mehr gibt.

Eine Bücherwand mit lauter Büchern, Buch

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Veranstaltung und Literatur

Die Maimonides-Lectures sind eine gemeinsame Initiative der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der abrahamitischen Religionsgemeinschaften. Sie werden von der Psychoanalyseforscherin Patrizia Giampieri-Deutsch und dem Philosophen Hans-Dieter Klein geleitet. Das 5. Symposium vom 1.-2. März 2017 untersuchte das Thema „Trauma und Gedächtnis“ aus psychoanalytischer, historischer, religiöser und philosophischer Sicht.

The Personal Roots of Major Theories of Trauma in Psychoanalysis: An Interview-based Study (2017), J. Canestri.
The destruction of time in pathological narcissism, O. Kernberg. In The Experience of Time: Psychoanalytic Perspectives (2009), hg. L. Glocer Fiorini & J. Canestri.
Psychosomatics Today: A Psychoanalytic Perspective (2010), M. Aisenstein.

Canestri illustriert diesen Zusammenhang mit Bezug auf die Psychosomatik. Wie in klassischen Tragödien, in denen der Bote der schlechten Nachricht ermordet wird, damit die Nachricht nicht ankommt, werden beim traumatisierten Menschen, die schlechten Erinnerungen gleichsam „ausgeschaltet“, damit sie ihn gar nicht mehr erreichen.

In der Behandlung von traumatisierten Menschen würde es deshalb vor allem darum gehen, „aktiv zuzuhören“. Die „blanken Stellen“ können über das „aktive Zuhören“ behandelt und in der Folge als Erinnerungen und Erlebnisse weiterverarbeitet werden. Auf diese Weise könnte traumatisierten Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung geholfen werden.

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