Ein Jahrhundert der Materialanhäufung

Unsere Wirtschaft benötigt enorme Mengen Rohstoffe: Jedes Jahr werden der Natur weltweit rund 70 Milliarden Tonnen Material entnommen, berichten Wiener Forscher. Die Menge an angehäuftem Material sei in den letzten 100 Jahren auf das 23-Fache gestiegen.

Die Hälfte des weltweit entnommen Materials verwenden wir um damit Gebäude, Straßen, Verkehrsnetze und andere Infrastrukturen zu bauen. Forscher vom Wiener Institut für Soziale Ökologie haben errechnet, wieviel Material der Natur von 1900 bis 2010 entnommen wurde und was davon in derartigen Beständen landete. Dabei stellte sich heraus: Global gesehen sind wir von einem 800 Milliarden Tonnen schweren Materialberg umgeben.

Bisher waren es vor allem die Industriestaaten, die die Entnahme von Ressourcen zum Bau von Gebäuden und Infrastruktur vorantrieben. Hier kommen derzeit etwa 300 Tonnen verbautes Material auf jeden Menschen. In einigen Ländern des globalen Südens sind es bisher nur knapp 50 Tonnen pro Person.

Die sogenannten Schwellenländer sind aber dabei aufzuholen. „China hat die größten Wachstumsraten in dem Bereich. Das, was jährlich in die Bestände hineingeht, ist ungefähr doppelt so viel wie in den Industrieländern“, so Studienleiter Fridolin Krausmann.

Klimaziele in Gefahr

Ein gefährlicher Trend. „Wenn die Länder des Südens ein ähnliches Level an Materialbeständen pro Kopf erreichen wie derzeit in den Industrieländern, dann würden sich die Bestände bis 2050 ungefähr vervierfachen.“ Das würde auch unseren Ressourcenverbrauch um ein Vielfaches steigern und zu einem deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen führen. Die Klimaziele von Paris, mit denen eine weitere Erwärmung des Planeten verhindert werden soll, würden in weite Ferne gerückt.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 7.4., 19:05 Uhr.

Denn Gebäude und Infrastrukturen benötigen auch nach ihrer Fertigstellung jede Menge Material und Energie. Sie müssen instandgehalten, mit Strom versorgt, gekühlt, beleuchtet und geheizt werden. „20 bis 30 Prozent der fossilen Energie, die wir brauchen, werden für die Produktion und den Aufbau dieser Bestände verwendet; die restlichen 70 bis 80 Prozent dafür diese Bestände zu nutzen“, so das Ergebnis der Studie.

Materialberg wächst weiter

Nach einem Kurswechsel sieht es derzeit aber nicht aus. „Auch in den Industrieländern nimmt die Menge an Material, die jedes Jahr angehäuft wird, nach wie vor zu. Das ist eines der Ergebnisse, das uns doch auch erstaunt hat“, sagt der Ökologe. Von dem Material, das für Neubauten verwendet wird, stammen nur zwölf Prozent aus dem Recycling. Das liege einerseits an der schieren Menge, die die Bauindustrie benötigt. Es wird deutlich mehr Material verbaut als auf der Abfallseite anfällt. Andererseits gäbe es auch im Bereich der Wiederverwertungs-Techniken noch großes Verbesserungspotenzial.

Während in der Bauindustrie mit Nanotechnologie neue Baumaterialien entwickelt werden, wird in Recyclingbetrieben noch von Hand sortiert. „Wenn man sich anschaut, wie Recyclingbetriebe arbeiten, dann mutet das fast steinzeitlich an“, so Krausmann. Mit der Abfallseite unserer Materialbestände werden wir uns in Zukunft wohl noch viel stärker beschäftigen müssen.

Die Modellrechnungen ergaben: Eine große Anzahl an Gebäuden und Infrastrukturen wird in den nächsten 20 bis 30 Jahren das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Dabei fallen rund 300 Milliarden Tonnen Abfall an, mit dem wir umgehen müssen. „Entweder man muss sie entsorgen oder es sind Sekundärrohstoffe, dafür braucht man aber Konzepte und Pläne“, erklärt der Professor für Nachhaltige Ressourcennutzung.

Langfristig müssen wir also Wege finden mit weniger Beständen auszukommen, betont Krausmann. Dazu gehöre auch die bereits bestehenden Infrastrukturen und Gebäude länger und effizienter zu nutzen. Bei Neubauten sollte in ein Design investiert werden, das möglichst wenig Energie und Material verbraucht. Das sei vor allem für die Länder wichtig, deren Materialbestände derzeit noch relativ gering sind, die aber dabei sind aufzuholen.

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

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