Alpenpflanzen anders gefährdet als gedacht

Die Klimaerwärmung bedroht viele Pflanzen in den Alpen. Eine neue Studie zeigt: Blumen und Gräser können der Wärme zwar länger trotzen als bisher angenommen. Gerade das kann ihnen aber später zum Verhängnis werden.

Es ist ein paradoxer Mechanismus, den ein internationales Forscherteam in einer neuen Studie beschreibt. „Zum einen sind Alpenpflanzen im Vergleich zu Pflanzen aus niederen Lagen recht langlebig. Das erhöht ihre Chance, an Stellen zu überleben, an denen das Klima nicht mehr so günstig ist für sie“, erklärt der Botaniker Stefan Dullinger von der Universität Wien.

„Das hat aber auch eine Kehrseite: Wegen ihrer Langlebigkeit passen sie sich langsamer an geänderte Umstände – etwa an die Klimaerwärmung - an. Das kann dazu führen, dass Bestände zwar relativ lange an einem Standort existieren, aber irgendwann katastrophisch zusammenbrechen können“, so Dullinger gegenüber science.ORF.at.

Vier Pflanzen, drei Klimaszenarien

Untersucht haben die Forscher das Phänomen anhand von vier Pflanzen, die ausschließlich in den österreichischen Alpen beheimatet sind: Dunkle Glockenblumen, Alpen-Nelken und Clusius-Primeln, die in den nordöstlichen Kalkalpen zwischen Schneeberg und Traun weit verbreitet sind, sowie die Grasart Festuca pseudodura, die rund um den Großglockner wächst.

Clusius-Primeln auf dem Hochschwab in der Obersteiermark

Stefan Dullinger

Clusius-Primeln vom Hochschwab in der Obersteiermark

Auf Basis von drei gängigen Klimaszenarien - die im Vergleich zu 1850 von einer Erderwärmung zwischen zwei und vier Grad Celsius bis ins Jahr 2100 ausgehen - haben die Forscher die Zukunft der vier Pflanzen simuliert. Und zwar mit einem neuen Modell, das genauer ist als bisher verwendete. Ältere Modelle sind von der Annahme ausgegangen, dass Pflanzen bei höheren Temperaturen auf Bergen einfach ein paar hundert Meter höher „wandern“, und haben nur wenige zusätzliche Faktoren - wie etwa veränderten Samenflug in der Höhe - berücksichtigt.

„Unser Modell hingegen beinhaltet auch die evolutionären Anpassungsprozesse der Pflanzen, die durch höhere Temperaturen zu erwarten sind“, sagt Stefan Dullinger. Das Modell sei deshalb genauer.

Unsichtbares Aussterben

In allen drei Klimaszenarien zeigten die Pflanzen eine überraschende Widerstandsfähigkeit. Bis Ende des Jahrhunderts würden lokale Bestände auch in heutigen Höhen und deutlich wärmeren Umständen nicht aussterben. Ihre Dichte würde aber deutlich abnehmen, und die Pflanzen würden immer mehr Nachwuchs produzieren, der zusehends schlechter an die steigenden Temperaturen angepasst ist.

Die Prognose von Dullinger und seinen Kollegen: Wenn die Klimaerwärmung bis 2100 auf zwei Grad Celsius plus beschränkt bleibt und die Temperaturen danach nicht mehr weiter steigen, haben die Alpenpflanzen Überlebenschancen. Wenn nicht, dürfte es ihnen an den Kragen gehen - und zwar genau deshalb weil sie jetzt noch so hartnäckig sind.

Es gibt laut Dullinger eine Art „Erosion“ der Bestände, die dem Aussterben vorausgeht. Um das Risiko dafür korrekt zu erfassen, müsse man deshalb heute nicht nur die Verbreitung der Alpenpflanzen messen, sondern auch ihre lokalen Bestandsdichten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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