Debatte über Menschenknochen an Uni Wien

Die Kulturwissenschaftlerin Sophie Schasiepen hat ein unrühmliches Kapitel der österreichischen Forschungsgeschichte aufgedeckt: An der Uni Wien lagern mehr als 100 Jahre alte Menschenknochen aus Afrika - mit höchst fragwürdiger Herkunft.

Er ließ illegal Gräber ausscharren und erhielt Leichen von der kolonialen Strafjustiz - bei der Beschaffung von Studienmaterial war Rudolf Pöch, erster Anthropologie-Professor der Universität Wien, im südlichen Afrika einst nicht zimperlich. Seine Sammlung menschlicher Überreste lagert weiterhin an der Uni, kritisierte Pöch-Expertin Schasiepen bei einem Vortrag am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien.

Völkermord an Herero und Nama

Aktuell läuft eine Sammelklage der Herero und Nama gegen Deutschland. Geduldet durch die Kolonialbehörden seien diese indigenen Völker ab 1883 von deutschen Siedlern im heutigen Namibia enteignet, zur Zwangsarbeit genötigt, sowie Mädchen und Frauen vergewaltigt worden.

Ein Aufstand 1904 wurde mit einem Vernichtungsfeldzug beantwortet, bei dem 100.000 Herero und Nama getötet wurden. Opfer dieses Gemetzels wurden auch von Pöch gesammelt und befinden sich möglicherweise noch in der Wiener Sammlung, sagt Schasiepen.

Österreich war damals keine Kolonialmacht, und hätte daher wohl keine Reparationszahlungen zu befürchten, erklärte die Forscherin der APA. Mit einer Rückgabe der Gebeine könnte man sich allerdings ethisch gut positionieren und Verantwortung zeigen, meint sie. Von manchen Wissenschaftlern werde zwar behauptet, damit „gehe ein Archiv über die menschliche Entwicklung verloren“, aber sie zweifle über dessen Wert.

Herkunft wird durchleuchtet

„Die genaue Herkunft der Knochen ist genauso wenig dokumentiert wie die Lebensumstände der Leute, es fehlt also an Kontextwissen über diese menschlichen Überreste“, sagte sie: „Aktuell ist die Sammlung allerdings zu Provenienzforschungszwecken geschlossen.“ Die Herkunft der Überreste wird nun kritisch untersucht.

Altes Dokument: Empfehlungsschreiben des k.u.k. Ministeriums des Äußeren

Österreichisches Staatsarchiv

Empfehlungsschreiben des k.u.k. Ministeriums des Äußeren an die kolonialen Behörden für Pöchs Reisen (Österreichisches Staatsarchiv, Fachstudienreisen, Bestand: A.R., Karton: F47/45, Mappe 2/178)

Fest steht, dass Pöchs Methoden alles andere als ethisch korrekt waren. Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften unterstützte ihn unrühmlicherweise darin, Gräber in Namibia, Botswana und Südafrika ausräumen zu lassen. „Er erkundigte sich vorab bei deutschen Kollegen, wie er seine Reiseroute am besten zu planen hatte, und war mit einer Reihe von Empfehlungsschreiben ausgestattet“, berichtet Schasiepen.

„Die Briefe der Akademie wurden an das k & k Außenministerium geschickt, welches bei der Kolonialregierung um Unterstützung Pöchs ansuchte, die in Form von Rundbriefen an die dortigen Magistrate, Polizei und Militär erfolgte, dem österreichischen Forscher sei bei der Arbeit Beistand zu gewähren“.

Methoden schon damals ungesetzmäßig

Auch Ärzte und lokale Museumsmitarbeiter seien ihm dabei zur Hand gegangen, bis hin zu professionellen Assistenten, die schließlich für ihn die Gräber öffneten und die Leichenteile bargen. Oft waren die Knochen schon zur Zeit der Ausgrabung in schlechtem Zustand, also beschädigt und unvollständig, erklärte die Forscherin. Die Theorien, die Pöch anhand der Vermessung seiner Funde aufstellte, gelten heute übrigens als wissenschaftlich längst überholt und rassistisch.

In einem Fall ist von den südafrikanischen Historikern Ciraj Rassool und Martin Legassick gut dokumentiert worden, dass die Methoden des umtriebigen Professors schon damals unmoralisch und ungesetzmäßig waren, so Schasiepen.

Kurz nach ihrem Tod an Malaria wurde das Ehepaar Klaas und Trooi Pienaar, Angehörige der indigenen Gemeinschaft der „San“ (von Pöch „Buschmänner“ genannt), in Südafrika von seinen Mitarbeitern ausgescharrt. Proteste des Umfeldes wurden ignoriert, und die Leichen illegal nach Österreich überführt, was eine polizeiliche Untersuchung gegen Pöch in Südafrika nach sich zog.

Im Gegensatz zu den anderen „Sammlungsobjekten“ wurden die menschlichen Überreste der beiden San jedoch 2012 von der Akademie der Wissenschaften und der Universität freigegeben, feierlich nach Südafrika überführt und dort mit einer Staatszeremonie wieder beerdigt. Die Regierung Südafrikas sprach damals von der großen Bedeutung der „Rehumanisierung“ der Pienaars von bloßen Studienobjekten zu Menschen, denen auch im Tod Würde und Respekt zusteht.

Uni Wien plant Rückgabe

Seitens der Universität Wien betonte man auf Anfrage der APA, dass die Provenienzforschung über die menschlichen Überreste aus Südafrika, Botswana und Namibia aus der Pöch’schen Sammlung, was das interne Archivmaterial betrifft, weitgehend abgeschlossen sei.

Derzeit erfolge die Erschließung von Quellen aus den jeweiligen Ursprungsländern bzw. anderen österreichischen und europäischen Archiven. Sobald diese Forschungen abgeschlossen seien, würden mit den zuständigen nationalen Behörden der Ursprungsländer die entsprechenden „Repatriierungen“ (also Rückholungen) durchgeführt.

Dies hat die Uni Wien, das Naturhistorische Museum Wien, das Pathologisch-Anatomische Bundesmuseum und die ÖAW auch schon mit den menschlichen Überresten von Australischen Aborigines getan, die sich in der Sammlung Pöchs befanden. Zwei Mal wurden in den vergangenen Jahren sterbliche Überreste zurückgegeben.

science.ORF.at/APA

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