Bedingungslos, aber auf Sparflamme

Vor 100 Jahren hat Finnland seine Unabhängigkeit erlangt. Ein junges Land, das gerne experimentiert - seit Jänner mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Erstes Resümee: Es ermöglicht persönliche Spielräume. Aber letztlich will der Staat doch nur sparen.

Für viele war es ein Brief, der ihr Leben verändern sollte. Anfang des Jahres erhielten 2.000 arbeitslose Finnen eine Mitteilung der Sozialversicherungsanstalt Kela. Sie zählen zu den zufällig ausgelosten Testpersonen für ein besonderes Experiment.

Für die kommenden zwei Jahre erhalten sie anstatt des Arbeitslosengeldes ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Höhe von 560 Euro monatlich. „Viele haben uns angerufen und gefragt: Ist das wirklich wahr?“, erzählt Marjukka Turunen, Leiterin der Rechtsabteilung bei Kela. Viele wollten sichergehen, ob das Grundeinkommen wirklich bedingungslos ausgezahlt wird.

Die Fallen im finnischen Sozialsystem

Arbeitslose müssen in Finnland alle vier Wochen bei der Sozialversicherungsanstalt Kela vorsprechen. Jeder Zuverdienst muss gemeldet werden, und das Arbeitslosengeld wird dann dementsprechend gekürzt. „Das derzeitige finnische Sozialsystem bietet wenig Anreize, Arbeit aufzunehmen“, sagt Marjukka Turunen. „Vielmehr stellt es Arbeitslosen einige Fallen.“ Nimmt man etwa eine Teilzeitstelle an, wird das Arbeitslosengeld derartig gekürzt, dass die Betroffenen in Summe weniger Geld zur Verfügung haben als zuvor.

Regel: Basis-Arbeitslosengeld

Die finnische Kela bezahlt nur ein Basisarbeitslosengeld aus. Dieses beträgt 32,40 Euro täglich und wird fünf Tage pro Woche gezahlt. Das Geld muss versteuert werden, womit eine Nettosumme bleibt, die in etwa auf Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens von 560 Euro pro Monat liegt. Ein am bisherigen Einkommen orientiertes Arbeitslosengeld wie in Österreich erhalten nur Personen, die Mitglied eines Arbeitslosenfonds sind.

Ebenso sei in so einer Situation nicht klar, wie viel Geld die Betroffenen bekommen und wann es überwiesen wird, so Turunen. Denn Beschäftigungen bedeuteten, dass der Bezug neu berechnet wurde und sich die Auszahlung in den meisten Fällen verzögert hat. Daher haben sehr wenige Arbeitslose einen geringfügigen Job oder eine Teilzeitarbeit angenommen. Das bedingungslose Grundeinkommen bietet den Testpersonen nun finanzielle Sicherheit, da es immer am Monatsanfang überwiesen wird und nicht versteuert werden muss wie das bisherige Mindestarbeitslosengeld (siehe Kasten). Und jeder Euro, der dazuverdient wird, erhöht das Einkommen.

Ein erster Schritt Richtung Reform

Die finnische Regierung will herausfinden, ob das Grundeinkommen mehr Anreize schafft, Arbeit anzunehmen. Doch das ist nicht das einzige Ziel des Experiments. „Ein Ziel ist es auch, die Bürokratie zu reduzieren und das Sozialsystem zu vereinfachen“, erklärt Marjukka Turunen. Derzeit gibt es 43 verschiedene Sozialleistungen in Finnland, die alle eine eigene Berechnungsgrundlage aufweisen. Das System sei sehr komplex und müsste dringend harmonisiert werden, so die Kela-Mitarbeiterin.

Ende 2018 wird das Experiment wissenschaftlich evaluiert. Bereits jetzt gibt es die Zusage der Regierung, das finnische Sozialsystem unter Einbeziehung der Ergebnisse umzubauen. Neben neuen Anreizen, Arbeit anzunehmen, interessiert sich die Regierung auch für die Auswirkungen auf das Stressempfinden und den Gesundheitszustand der Testpersonen.

An keine Auflagen gebunden

560 Euro seien nicht viel, entsprächen aber der Höhe des durchschnittlichen Arbeitslosengeldbezugs in Finnland, verteidigt Marjukka Turunen das Experiment. Einige Arbeitslose hätten bisher mehr bezogen. Sie mussten aber für jeden Tag angeben, ob sie Nebentätigkeiten nachgehen und wie viel sie dabei verdienen. Dieser Verdienst wurde ihnen dann anschließend vom Arbeitslosengeld abgezogen. Der große Vorteil des Grundeinkommens sei, dass es pünktlich und ohne Auflagen überwiesen werde. Das eröffne Spielräume. "Einige Testpersonen haben sich bereits selbstständig gemacht und ein eigenes Unternehmen gegründet“, so Turunen. Das Grundeinkommen habe ihnen den Mut gegeben, lang gehegte Ideen umzusetzen.

Situation in Österreich

In Österreich orientiert sich die Höhe des Arbeitslosengeldes am Einkommen. Es werden 55 Prozent des täglichen Nettoeinkommens als Arbeitslosengeld ausbezahlt. Ist die Anspruchsdauer ausgeschöpft, erhalten arbeitslose Personen in Österreich eine Notstandshilfe in der Höhe von durchschnittlich 700 Euro.

Eine Teilnehmerin hat ihr erzählt, dass sie nun viel entspannter sei. Zuvor sei sie immer aufgesprungen, wenn das Telefon geläutet habe. Immer hatte sie Angst, dass es das Arbeitsamt sei, das ihr einen Job anbieten will. Doch derzeit könne sie keinen Job annehmen, da sie sich um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern muss.

Das finnische Experiment kann nur beantworten, ob arbeitslose Menschen durch ein Grundeinkommen schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Um breitere Aussagen über die Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens zu treffen, müsste das Experiment deutlich ausgeweitet werden. Doch das ist eine Frage der Finanzierung. Der Versuch in Finnland kostet den Staat zehn Millionen Euro jährlich.

Sozialstaaten unter Druck

Zwar erhalten die Testpersonen Zuschläge für Miete, Kindergartenplatz und andere bedürfnisorientierte Leistungen, aber für viele ist es trotzdem ein Leben an der Schwelle zur Armut. Denn die Armutsgefährdungsschwelle liegt in Finnland, ähnlich wie in Österreich, bei zirka 1.100 Euro monatlich.

Das finnische Experiment hat für die Politologin Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie nicht wirklich etwas mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens zu tun. Man wolle auf diese Weise vor allem Sozialausgaben senken und Menschen dazu zwingen, die Arbeitssuche zu beschleunigen.

„Ich glaube, solche Experimente werden wir noch weiter sehen in der EU und auch darüber hinaus, weil die Staaten ja auch dazu gedrängt werden, die Sozialquote zu senken, und sie sich Methoden überlegen werden, wie das geht“, so die Politologin, die eine Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommen ist.

Juliane Nagiller, Ö1-Wissenschaft

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