Mit der „Müllabfuhr“ gegen böse Zellen

Eine Strategie in der Krebsforschung hängt mit der zelleigenen „Müllabfuhr“ zusammen: Unbrauchbare Proteine werden geschreddert und abtransportiert. Der US-Forscher Jay Bradner möchte diesen Mechanismus nutzen, um Tumoren am Wachsen zu hindern.

Die menschlichen Zellen produzieren laufend Proteine, die unzählige Aufgaben übernehmen: Sie fungieren etwa als Baustoffe für die verschiedenen Gewebe, aber auch als Informationsträger. Im Fall einer Krebserkrankung können sie dem Tumor beispielsweise signalisieren, dass er wachsen soll.

Genau diese Proteine, die das Krebswachstum vorantreiben, hat der Biomediziner Jay Bradner im Visier. Dafür nutzt er die „Müllabfuhr“ in den menschlichen Zellen: Er hat ein Molekül entdeckt, dass dazu führt, dass die für den Krebs relevanten Proteine markiert werden.

Proteine markieren und schreddern

Dafür nutzen Bradner und seine Kollegen den natürlichen Mechanismus des Proteasoms. Proteine, die nicht mehr gebraucht werden oder nicht richtig arbeiten, werden mit Ubiquitin markiert. Dann kommt der Eiweißschredder und sammelt die markierten Proteine ein. Bradner und seine Kollegen haben ein Molekül gefunden, Phtalimid, das das Ubiquitin zu einem wählbaren Protein führt. Etwa einem Eiweiß, das für das Wachstum eines Tumors zuständig ist.

Ist das gewünschte Protein markiert, wird es zerstückelt und abtransportiert. „Wir haben uns zunächst auf Proteine konzentriert, die bei Blutkrebszellen eine Rolle spielen“, sagte Bradner. Und zwar solche, für die es entweder keine Therapien gibt oder die eine Resistenz entwickelt haben. Diese Forschungsarbeiten, die Bradner an der Universität Harvard begonnen hat, führt er jetzt beim Pharmariesen Novartis weiter.

Resistenzen überwinden

Die Proteine, die das Krebswachstum steuern, haben oft mehrere Funktionen in der Zelle. Konventionelle Therapien unterdrücken nicht alle dieser Funktionen. Das Protein lernt dann womöglich, sich an die Medikamente anzupassen. Bradners Strategie ist es, das gesamte Protein loszuwerden. „Der größte Vorteil dieser Technologie ist aber, dass wir damit Krebsproteine angreifen können, die der Forschung nun schon seit Jahrzehnten entwischt sind“, erklärte der Onkologe und Biomediziner.

Mittlerweile konnten Bradner und seine Kollegen acht Prototypen möglicher Krebstherapien entwickeln. Jetzt gehe es darum, die richtigen Moleküle für erste klinische Tests herauszufiltern. „Es ist schwer zu erraten, wann diese Moleküle bereit für Tests am Menschen sind“, so Bradner. Der Krebsforscher hofft aber, die ersten Studien im Lauf der nächsten zwei Jahre durchführen zu können.

Weitere Therapien durch offene Forschung?

In der Folge möchte Bradner auch andere krankmachende Proteine anpeilen - etwa jene, die Alzheimer verursachen. Dafür setzt der Biomediziner auch auf das Potenzial der Wissenschaftscommunity. Denn bis zu seinem Wechsel in die Privatwirtschaft galt Bradner als wichtiger Verfechter von Open-Source-Forschung. Er selbst machte seine Erkenntnisse zum Phtalimid für Kolleginnen und Kollegen weltweit öffentlich und schickte Proben seiner Experimente an 40 Labors weltweit.

Doch ist es möglich, diese Haltung als Wissenschaftler in der Privatwirtschaft beizubehalten? „Genau diese Frage habe ich Novartis gestellt, als sie mich das erste Mal kontaktiert haben“, sagte Bradner. Der Forscher zeigt sich überzeugt, dass das möglich sei. Die Geschäftsführer hätten ihm signalisiert, zukünftig auf offenere Rahmenbedingungen setzen zu wollen und Forscherinnen weltweit einzuladen, sich zu beteiligen. Das solle die Forschung beschleunigen.

Noch hat Bradner, der laut Novartis-Geschäftsbericht 2016 ein Jahresgehalt von 5,7 Millionen Dollar erhielt, keine vergleichbaren Erkenntnisse veröffentlicht.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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