Sieg für einen Fluss

In Kolumbien wird seit Jahrzehnten illegal Gold mit Hilfe von Giftstoffen abgebaut. Umweltschützer feiern nun eine historischen Erfolg: Das Verfassungsgericht hat einen Fluss als ein mit Rechten ausgestattetes Subjekt anerkannt, das geschützt werden muss.

Das vor Kurzem gefällte Urteil des Gerichts könnte einen Wendepunkt für die krisengebeutelte Region im Nordwesten Kolumbiens bedeuten.

Luftaufnahmen zeigen Ausmaß der Verschmutzung

Der mächtige Río Atrato schlängelt sich durch tiefgrüne Regenwälder, vorbei an Siedlungen indigener und afrokolumbianischer Communities, durch die hektisch-lebhafte Provinzhauptstadt Quibdó, bis er sich schließlich rund 500 Kilometer weiter nördlich in das karibische Meer ergießt.

Dass er kaum noch Leben in sich trägt, sieht man ihm aus der Nähe nicht an. Erst aus der Luft wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar:aine rotbraune Brühe gräbt sich durch die üppige Pazifikregion, tiefe Krater fressen sich in die Landschaft. Der illegale Goldabbau hat seine unübersehbaren Wunden hinterlassen. Das Wasser des Rio Atrato ist mit den hochgiftigen Chemikalien Quecksilber und Zyanid aus dem Goldabbau verseucht.

Die zerstörte Pazifik-Region und illegale Minen aus dem Flugzeug

Steve Cagan/Tierra Digna

Flugaufnahme der Region mit illegalen Minen

Die Provinz Chocó gilt als große Verliererin des Friedensprozesses zwischen kolumbianischer Regierung und linksgerichteten FARC-Rebellen: Nach Abzug der Guerilla-Truppen haben sich neue illegale bewaffnete Gruppen in das Territorium gedrängt.

Sie haben es nicht nur auf die Kontrolle über die Drogen-Handelsrouten abgesehen, sondern vor allem auf das noch lukrativere Milliardengeschäft mit illegal abgebautem Gold. Seit Jahrzehnten leidet die Pazifikregion unter dem Raubbau - Ökosystem, Mensch und Tier sind die Leidtragenden.

Skrupelloser Goldrausch

Mehr als 150 Quadratkilometer Urwald wurden 2015 in Kolumbien zerstört. Chemikalien und tonnenweise Abfall vergiften das gesamte Ökosystem auf Dauer. Weltweit gelangen rund 1.600 Tonnen Quecksilber durch Goldabbau in die Umwelt – Kolumbien steht nach Indonesien laut der Organisation Mercury Watch ganz an der Spitze.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch das „Ö1-Frühjournal“ am 24.5. um 7 Uhr.

Die Konsequenzen für Mensch und Umwelt sind katastrophal, berichtet die Tageszeitung El Espectador: Im Jahr 2014 wurden 34 Fälle von Kindern der Ethnie Embera-Katíos dokumentiert, die wahrscheinlich durch Kontamination starben; die Zahlen der Dengue-, Malaria- und Darminfektionen explodieren, das soziale Gefüge und die traditionellen Lebensweisen der heimischen Bevölkerung werden nachhaltig zerstört.

Die zerstörte Pazifik-Region und illegale Minen aus dem Flugzeug

Steve Cagan/Tierra Digna

Tod lauert im Fluss

Die Fischbestände, Hauptnahrungsmittel in der Pazifikregion, sind dramatisch zurückgegangen, wie Tulia Rivas, Biologin an der Technologischen Universität Chocó, weiß. Sie hat vier Fischarten des Atrato-Flusses auf ihren Quecksilbergehalt untersucht: Er überstieg die empfohlenen Richtwerte der WHO um ein Sechsfaches. “Die stärkste Kontamination haben wir bei den Fischfressern festgestellt. In ihren Mägen fanden wir Reste des sogenannten Quícharo – eines der populärsten Speisefische der Gegend”, so die Biologin.

Über die Nahrungskette wird die hochgiftige Substanz von einem Organismus an den nächsten weitergegeben - die Natur kann das Schwermetall nicht abbauen. Am Ende der Kette steht der Mensch: “Gedächtnisverlust, Händezittern, Kopfschmerzen, bis hin zu Fehlbildungen - wir befürchten, dass die Auswirkungen der Quecksilberkrise hier im Chocó immer stärker sichtbar werden”, so William Klinger, Leiter des Umwelt-Forschungsinstituts Quibdó. Er spricht sich, wie viele Wissenschaftler in Quibdó, nicht grundsätzlich gegen den Goldabbau aus.

Abbau ohne Gift weniger ertragreich

Die Region Chocó ist reich an Bodenschätzen, vor allem die afrokolumbianische Bevölkerung lebt seit Generationen vom Bergbau und der Weiterverarbeitung von Rohstoffen. Allerdings wurden früher traditionelle Techniken eingesetzt, die ohne den Einsatz von Chemikalien auskamen – aber weniger ertragreich waren.

Illegale ausländische Minenbetreiber, die sich in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach in der Pazifikregion niederließen, strebten den großangelegten Goldabbau an – auf Kosten der Umwelt. Klinger fordert die Rückkehr zu umweltschonenden Methoden, wie beispielsweise den Einsatz des Pflanzensaftes des Balsabaumes.

Ein vom Militär verbrannter Bagger einer illegalen Mine

ORF, Caroline Haidacher

Ein vom Militär verbrannter Bagger einer illegalen Mine

Triumph vor Gericht

Der Agrarwissenschafter ist nicht der einzige, der sich seit Jahren für eine Verbesserung der katastrophalen Situation einsetzt. Organisationen der afrokolumbianischen Bevölkerung, Zusammenschlüsse indigener Ethnien, Umwelt- und Menschenrechtsaktvisten und -aktivistinnen fordern schon lange vehement von der Regierung, den unkontrollierten Bergbau einzudämmen.

Im vergangenen Jahr hat die Organisation Tierra Digna Klage gegen den Staat eingebracht – und nun mit Paukenschlag einen Erfolg eingefahren. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat Anfang Mai ein Urteil veröffentlicht, das in Kolumbien als Sensation gefeiert wird: Erstmals in Lateinamerika wird ein Fluss – der Río Atrato – als Subjekt anerkannt, dessen Rechte verteidigt werden müssen.

“Das Urteil ist ein historischer Sieg für die Communities“, so Viviana Gonzalez Moreno, Anwältin bei Tierra Digna, die die indigenen und afrokolumbianischen Communities vor Gericht vertreten hat. "Es spricht von sogenannten biokulturellen Rechten, was bedeutet, dass Mensch und Natur als Einheit betrachtet werden müssen.” Es schreibe vor, dass sowohl die Biodiversiät als auch die kulturelle Vielfalt geschützt werden müsse, da das eine das andere bedinge, so Gonzalez Moreno. Dies entspreche der Weltanschauung der indigenen Bevölkerung.

Angehörige der Ethnie Embera, die mitten im verseuchten Wasser leben

ORF, Caroline Haidacher

Angehörige der Ethnie Embera, die mitten im verseuchten Wasser leben

“Hüter des Flusses”

Das bedeutet in der Praxis: Innerhalb von drei Monaten müssen nun der Staat und die Communities jeweils einen Delegierten ernennen, der als “Hüter des Flusses” den Río Atrato repräsentieren soll. Eine Kommission mit Vertretern und Vertreterinnen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen soll dabei helfen, die Schutz- und Säuberungsmaßnahmen umzusetzen.

Das ambitionierte Ziel ist es, ein intaktes Ökosystem an die nächste Generation weiterzugeben – keine leichte Aufgabe. Zu viele mächtige und teilweise bewaffnete Akteure hätten Interesse am Geschäft mit dem giftigen Gold, so Viviana Gonzalez Moreno. “Wir wissen nicht genau, wer sie sind und zu welchen Praktiken sie fähig sind."

Der kolumbianische Staat ist nun angewiesen, den illegalen Bergbau unter Kontrolle zu bringen und der Bevölkerung Sicherheit zu garantieren. In einem Land, das gerade erst dabei ist, einen blutigen Bürgerkrieg zu beenden, ist das eine Herausforderung, die Jahrzehnte dauern könnte.

Caroline Haidacher, ORF Wissenschaft, aus Kolumbien

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