Arbeitswelt beschleunigt, aber nicht überall

„Immer schneller, immer mehr“ - viele nehmen eine Intensivierung ihrer Arbeitstätigkeit wahr, vor allem in Verbindung mit dem omnipräsenten Schlagwort „Digitalisierung“. Laut einer Studie ist der Trend zwar messbar, insgesamt jedoch weniger stark als oft gefühlt.

Die Gruppe um den Arbeitspsychologen Christian Korunka von der Uni Wien beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit der Intensivierung der Arbeit. Als Ausgangspunkt diente das Konzept der sozialen Beschleunigung des deutschen Soziologen Hartmut Rosa. Als Motor fungiert demnach vor allem die Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche durch Informationstechnologie (IT) und die fortschreitende Digitalisierung.

Phänomen überschätzt

Die Überlegung der Forscher war, diese Beschleunigung in der Arbeitswelt anhand neuer Arbeitsanforderungen abzulesen. Sie konzentrierten sich im Rahmen ihrer vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Analysen, über deren Ergebnisse kürzlich ein Buch („Job demands in a changing world of work“, Springer International Verlag) erschienen ist, auf die drei Felder Arbeitsintensivierung, Autonomie- und Kompetenzanforderungen und befragten dazu über mehrere Jahre hinweg regelmäßig mehr als 2.000 Mitarbeiter aus den Bereichen Verwaltung, Gesundheit und IT.

Bezüglich der aktuell oft diskutierten Arbeitsintensivierung zeichnen die Wiener Forscher ein uneinheitliches Bild: Aus europaweit über mehrere Jahrzehnte hinweg erhobenen Daten lasse sich „ein erster Schub an Intensivierung in den 1990er Jahren feststellen. Dann bleibt es auf erhöhtem Niveau relativ stabil, um dann nach dem Jahr 2000 wieder anzusteigen“, erklärt Korunka.

Der Anstieg sei zwar da, „er ist aber kleiner als man glaubt“. Auch wenn viele das subjektiv weit dramatischer empfinden und in Berichten oft von größeren Sprüngen die Rede ist, liege das gesamte Ausmaß des Intensivierungs-Plus in diesem Zeitraum bei etwa zehn Prozent. Auch in der Wissenschaft gebe es eine gewisse Tendenz zum Überschätzen des Phänomens, so der Psychologe.

Permanente Erreichbarkeit

In der aktuellen Studie zeigte sich ebenfalls eine leichte Zunahme - und zwar in Form einer Intensivierung, die nicht mit einem reinen Anstieg des Zeitdrucks zu erklären ist. Korunka: „Arbeitsintensivierung ist mehr als Zeitdruck. Das heißt: es wird nochmals dichter.“ Das geschieht beispielsweise durch zusätzliche Erreichbarkeit außerhalb der eigentlichen Dienstzeiten.

Das Phänomen ist aber alles andere als gleich verteilt. Deutlich ist der Trend im Bereich der „Neuen Dienstleistungen“, wie etwa der IT-Branche, in den Medien, zum Teil in der Wissenschaft oder nahezu überall dort, wo direkter Kundenkontakt gegeben ist. Als universeller Treiber fungieren nach wie vor kommunikationstechnologische Entwicklungen. Man dürfe aber auch nicht vergessen, „dass viele Jobs auch heute noch recht konventionell sind“, sagte Korunka.

Durchgehend negative Folgen

Nimmt die Arbeitsdichte allerdings zu, habe das fast durchgehend negative Folgen für Beschäftigte, wie den Rückgang des Engagements, geringeres Wohlbefinden oder Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben. Das Thema „Burnout“ sei in dem Zusammenhang zwar auch zu nennen, entgegen mancher Quellen, die hier Zahlen von bis zu 25 Prozent nennen, lägen „die wahren Prozentwerte für die Prävalenz des Phänomens bei zwei bis drei Prozent - aber das ist schon schlimm genug“, sagt der Psychologe, der auch betont, dass durch die Verlagerung vieler Arbeitstätigkeiten von der Produktion in Richtung Dienstleistung in unseren Breiten die Arbeitswelt gleichzeitig insgesamt gesünder geworden sei.

Angesichts dieser Verschiebung und der insgesamt steigenden Anforderungen steige auch die Zahl jener, die auf der Strecke bleiben. Die höhere Arbeitslosigkeit habe zwar wirtschaftliche Ausgangspunkte, es gebe aber auch immer mehr Leute, die mit der Entwicklung der Anforderungen nicht mehr mitkommen. Auf diese Gruppe - zu der vor allem weniger qualifizierte Personen zählen - würde in den Diskussionen um Digitalisierung oder Burnout oft zu wenig geachtet.

Andere Verteilung

Psychologisch betrachtet ist die Sicherheit ein bekanntes Grundbedürfnis und das gelte natürlich auch für die Arbeitsplatzsicherheit. „Diese sichere Arbeitswelt ist durch die neoliberalen Veränderungen natürlich stark bedroht. Etwa durch Verträge mit Ablaufdatum. Diesen Faktor halte ich für mindestens so relevant wie die Intensivierungs-Diskussion“, so Korunka.

Die momentanen Umbrüche könnten auch dafür genützt werden, Arbeit künftig besser zu verteilen - und eben nicht den Arbeitenden immer mehr aufzuerlegen, während auf der anderen Seite mehr und mehr Menschen aus dem System ausscheiden. Hier bräuchte es längerfristig Bewegung aufseiten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, sowie deren Interessensvertretern. Unternehmen wiederum sollten sich mehr mit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen befassen und das Thema „psychische Belastungen“ ernst nehmen.

science.ORF.at/APA

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