Was Kopenhagen besser macht

Heute wird das Fahrrad 200 Jahre alt: ein Anlass zu überprüfen, warum Kopenhagen in Sachen Radverkehr so viel richtig macht – und was österreichische Städte davon lernen können.

Der deutsche Ingenieur Karl Drais hat am 12. Juni 1817 in Mannheim das Laufrad erfunden – und damit die Urform des Fahrrads. Zwar dauerte es noch einige Zeit, bis das heute gebräuchliche Kettenrad erfunden war. Doch der Siegeszug des Fahrrads war unaufhaltsam. Zunächst als Oberschichts-Freizeitgefährt, ab dem 20. Jahrhundert dann als Massenverkehrsmittel.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten Verkehrspolitiker allerdings stark auf Autos und Motorräder. Sie galten als modern und zukunftsfähig, im Gegensatz zum veralteten Fahrrad. Seitdem prägt die Motorisierung unsere Städte. In Wien etwa werden 27 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt. Zugleich nimmt das Auto zwei Drittel der Straßenfläche ein.

“Intuitives Radwegenetz am wichtigsten“

Erst in jüngster Zeit erlebt das Fahrrad einen neuen Höhepunkt in europäischen und amerikanischen Großstädten. Weltweit versuchen Städte, den Radfahreranteil wieder zu erhöhen. Denn Fahrradfahren ist umweltfreundlich, platzsparend, es erhöht die städtische Lebensqualität und wirkt sich nachweislich auf die Gesundheit aus. Der Anteil der Fahrradfahrerinnen in einer Stadt gilt mittlerweile als ein Faktor für die Lebensqualität einer Stadt.

Die dänische Hauptstadt Kopenhagen gilt als Erfolgsmodell in Sachen Fahrradförderung – auch, weil sie sich geschickt als Marke „Fahrradhauptstadt“ in den internationalen Medien positioniert, im ständigen Wettbewerb mit der niederländischen Hauptstadt Amsterdam. Fakt ist: Von weltweit kommen Abgesandte nach Kopenhagen um sich anzuschauen, wie eine fahrradfreundliche Großstadt aussehen kann.

Radfahren in Kopenhagen

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Radfahren in Kopenhagen

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 12. 6., 13:55 Uhr.

„Am wichtigsten ist ein intuitives, also selbsterklärendes, logisches Fahrradwegnetz, auf dem sich die Radfahrer sicher fühlen und ohne große Umwege zum Ziel gelangen“, fasst Klaus Bondam, Präsident des dänischen Radfahrerverbands, die Erfolgsstrategie der Kopenhagener zusammen. Der Verband betreibt auch die Fahrrad-Botschaft in Kopenhagen. Hier wird Lobbyarbeit geleistet, werden Workshops an Schulen angeboten, aber auch Journalisten aus dem Ausland für Interviews empfangen und durch die Stadt geführt.

Das Kopenhagener Modell

62 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Rad innerhalb der Stadt zur Arbeit oder zur Ausbildung, so die neuesten Zahlen. Berechnet man das weitläufige Umland mit ein, sind es immerhin noch 41 Prozent, bei fast zwei Millionen Menschen.

Zum Vergleich: Nach der Berechnungsart der Dänen wären das auf Wien umgelegt etwa zehn Prozent Radfahrerinnen. In Kopenhagen besitzen viele Familien kein Auto mehr, sondern lediglich ein Lastenrad. Nicht aus Umweltbewusstsein, sondern weil Fahrradfahren hier am schnellsten und günstigsten ist.

Das war nicht immer so: 1970 lag der Radfahranteil noch bei neun Prozent, erzählt Klaus Bondam. Zwar wurde in Kopenhagen traditionell immer schon viel Rad gefahren. Doch mit der Motorisierung wurde das Fahrrad auch hier unwichtiger. Nach der Ölkrise in den 1970er Jahren begann man, die bereits vorhandene Radinfrastruktur aber wieder auszubauen.

Jährlich lässt die Stadt ein paar Prozent der Parkplätze verschwinden, um Platz zu schaffen für Radfahrer und Fußgänger. Es gibt breite Radwege, oft mit Überholspuren, auf beiden Seiten der Fahrbahn, eigene Ampeln für Fahrräder, eine „Grüne Welle“ für Radfahrer, wenn sie ein Tempo von 20 km/h halten. Und eigene Fahrrad-Highways für Pendler aus dem Umland.

Anhaltestelle für Radfahrer in Kopenhagen

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Anhaltestelle für Radfahrer in Kopenhagen

“Radfahren muss schnellstes Verkehrsmittel sein“

Die Einbeziehung der Pendler ist eine weitere Strategie, den Autoverkehr zu minimieren. Neben den Fahrrad-Highways gibt es die Möglichkeit, das Fahrrad gratis in der Bahn zu transportieren. Großzügige Fahrradabteile bieten hier zuverlässig Platz.

„Es wird immer Autos in den Städten geben, auch in Kopenhagen. Aber wir können ihre Anzahl drastisch reduzieren“ , meint der Städtedesigner Mikael Colville-Andersen. Mit seiner Firma Copenhagenize Design Company berät er weltweit Städte, wie sich der Anteil der Fahrradfahrer erhöhen lässt.

Sein Tipp: Man muss das Rad zum schnellsten innerstädtischen Verkehrsmittel machen, dann kommen die Radfahrer wie von selbst. Das Modell Kopenhagen, so Colville-Andersen, lasse sich auf jede beliebige Stadt übertragen.

Paradebeispiel Ljubljana

Colville-Andersen hat beispielsweise ein Fahrradnetz in einer 150.000 Einwohner-Stadt im „russisches Nirgendwo“ geplant, wie er sagt. Noch vor zwei Jahren habe es dort keine Fahrradfahrer gegeben. „Vor Kurzem war ich dort – und es radeln Erwachsene und Kinder“, erzählt er begeistert.

Sein Lieblingsbeispiel ist jedoch die slowenische Hauptstadt Ljubljana. In den 1970er Jahren habe die Stadtverwaltung sich das – im Vergleich zu heute wohl noch dürftige - Radwegenetz Kopenhagens angesehen und nach dieser Vorlage die ersten vierzig Kilometer Radwegenetz in Ljubljana gebaut. Innerhalb von einem Jahr sei der Radfahreranteil von zwei auf zehn Prozent gestiegen, erzählt Colville-Andersen.

Effizienz schlägt jede Gewohnheit, ist er sicher. “Ich glaube nicht an so etwas wie eine Fahrradkultur. Schon immer versuchen wir Menschen, auf dem schnellsten Weg von A nach B zu gelangen. Wenn man das Fahrrad zu dem Vehikel macht, mit dem man am schnellsten ist, werden die Leute umsteigen.”

Radfahrerin im Zentrum von Kopenhagen

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„In Wien ziehen nicht alle an einem Strang“

In Wien liegt der Fahrradanteil derzeit etwa bei zehn Prozent – wenn man ihn nach dem „Kopenhagener Modell“ misst: also jenem Anteil der Wege, die mit dem Fahrrad zur Arbeit, Schule oder Universität zurückgelegt werden. Nach den „Modal Split Zahlen“, also der Anzahl der Fahrradfahrer am Gesamtverkehr, hat Wien derzeit sieben Prozent – und Kopenhagen 30. Ljubljana hat laut der Fahrradstadt-Rangliste Copenhagenize Index heute einen Radverkehrsanteil von zwölf Prozent und liegt damit ebenfalls vor Wien.

„In Wien ziehen beim Radfahren noch nicht alle an einem Strang. Das sieht man auch an den Bezirken: Wir haben ein sehr unterschiedliches Niveau der Radinfrastruktur. Der zehnte Bezirk etwa hinkt anderen Bezirken um rund 20 Jahre hinterher. Ich würde mir wünschen, dass das Fahrrad mehr als positive Stadtgestaltung, als Win-Win-Situation angesehen wird“, meint Martin Blum, Radverkehrsbeauftragter der Stadt Wien.

Die Umsetzung städtischer Infrastrukturpläne hängt in Wien meistens vom Konsens mit den jeweiligen Bezirken ab. Doch manchmal setzt sich die Stadtverwaltung auch gegen die Bezirke durch: In der Wipplingerstraße etwa hat man im vergangenen Jahr eine Einbahnstraße für Fahrradfahrer im Gegenverkehr geöffnet. „Da hat man gesagt, das ist jetzt für die Stadt so wichtig, dass wir den Bezirk überstimmen, und sagen, wir bauen es trotzdem.“

Lob für Wiens City Bike System

Ein Lob gibt es von den Dänen übrigens für das Wiener City-Bike System: Das funktioniere sogar besser als jenes von Kopenhagen, betonen Klaus Bondam und Mikael Colville-Andersen. Und noch etwas macht Wien besser als Kopenhagen: Während in Kopenhagen nur 20 Prozent öffentliche Verkehrsmittel nutzen, steht Wien besser da: 39 Prozent der Wienerinnen nutzen hier die Öffis (für beide Städte gelten die Modal Split Zahlen von 2014). Vielleicht muss Wien ja gar nicht Kopenhagen werden.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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