Wenn Autoren sich selbst übersetzen

Übersetzungen reichen nie an das Original heran: Dieses gemeine Vorurteil wird von Autoren unterwandert, die sich selbst übersetzen. Warum sie mehr sind als Brückenbauer zwischen zwei Sprachen, erklärt der Arabist Wolfgang Trimmel in einem Gastbeitrag.

In den letzten Jahren haben Selbstübersetzungen innerhalb der Translationswissenschaften zunehmende Beachtung gefunden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Beschäftigung mit Selbstübersetzungen dazu einlädt, grundlegende Fragen der Literaturwissenschaften und der Translatologie neu zu denken.

Porträtfoto des Arabisten Wolfgang Trimmel

IFK

Über den Autor:

Wolfgang Trimmel studierte Arabistik und Geschichte mit Schwerpunkt Globalgeschichte in Wien, Paris und Rabat. Seit Sommer 2016 ist er Doktorand am Institut für Orientalistik der Universität Wien, wo er außerdem als Lektor unterrichtet. Derzeit ist er IFK_Junior Fellow.

Zunächst müssen durch die Personalunion von Autor und Übersetzer bzw. Autorin und Übersetzerin Zweifel aufkommen, ob weit verbreitete Vorstellungen vom literarisch höherwertigen Original und der minderwertigen Übersetzung grundsätzliche eine Berechtigung haben.

Daran knüpft sich auch eine Infragestellung des Gegensatzpaares Ausgangs- und Zielkultur. Gerade Selbstübersetzerinnen verdeutlichen, dass Kulturräume nicht als hermetisch abgegrenzte Bereiche beschrieben werden können, sondern eher als Kontaktzonen, die durch ständige Verflechtungen und Vermischungen gekennzeichnet sind.

Beckett, Nabokov und Brodsky

Literaturwissenschaftler wie Jan Walsh Hokenson und Marcella Munson argumentieren, dass viele Begriffe, die heute im Zusammenhang mit Literatur und Übersetzungen verwendet werden, auf die Sprachphilosophie der deutschen Romantik zurückgehen. Einflussreiche Denker wie Friedrich Schleiermacher betonten die Rolle der Muttersprache, welche für sie untrennbar mit einem Volk oder einer Nation verbunden war und brachten damit das Schreiben auf zwei Sprachen in Misskredit.

Tatsächlich können literarische Selbstübersetzungen und bilinguales Schreiben aber auf eine lange Tradition zurückblicken. Im europäischen Mittelalter war es etwa durchaus üblich, dass Wissenschaftler ihre Werke nicht nur in der Gelehrtensprache Latein verfassten, sondern auch in die jeweiligen Landessprachen übersetzten. Dahinter stand meist der Wunsch, ein größeres Publikum zu erreichen.

Auch in der modernen Literatur kommt es nicht so selten vor, dass Autoren oder Autorinnen zweisprachig schreiben oder sich selbst in andere Sprachen übersetzen. Immerhin gingen im 20. Jahrhundert acht Literaturnobelpreise an Selbstübersetzer; darunter klingende Namen wie Samuel Beckett, Vladimir Nabokov, Joseph Brodsky und Rabindranath Tagore.

Übersetzungen in der arabischen Literaturgeschichte

Innerhalb der arabischen Tradition nahmen Übersetzungen in verschiedenen Epochen ebenfalls zentrale Bedeutung ein. Berühmt geworden ist vor allem das Haus der Weisheit; eine Institution, die im neunten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung vom abbasidischen Kalifen al-Mamun in Bagdad gegründet wurde und mit der Übersetzung wissenschaftlicher Texte vor allem aus dem Griechischen ins Arabische betraut war.

Die Kolonialisierung der arabischen Länder von Seiten Großbritanniens und Frankreichs führte dazu, dass sich Englisch und Französisch in vielen arabischen Ländern nicht nur als Verwaltungs-, sondern auch als Bildungs- und Literatursprachen etablierten.

Zu den bekannten Autoren, die auf Französisch schreiben oder ihre eigenen Werke ins Französische übersetzen, zählen zum Beispiel die aus Algerien stammenden Kamel Daoud, Rachid Boudjedra oder Assia Djebar, sowie Abdelfattah Kilito aus Marokko.

Auch englischsprachige arabische Literatur hat vor allem in den USA und in Großbritannien lange Tradition. Geläufige Namen sind in diesem Zusammenhang etwa der libanesisch-amerikanische Autor Khalil Gibran oder der aus Libyen kommende und in England lebende Schriftsteller Hisham Matar.

Auszug aus dem Roman „Waḥdahā šaǧarat ar-rummān“;

Wolfgang Trimmel

Auszug aus dem Roman „Wahdaha shajarat ar-rumman“

Sinan Antoon –irakischer Autor und Selbstübersetzer

Der irakische Autor Sinan Antoon wurde 1967 als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines irakischen Vaters in Bagdad geboren. Er machte zunächst an der Universität Bagdad einen Abschluss in Englisch, ging aber nach dem Golfkrieg 1991 in die USA, um in Georgetown und Harvard arabische Literatur zu studieren.

Sinan Antoon ist als Wissenschaftler, Übersetzer und Autor tätig und hat bis jetzt vier Romane auf Arabisch veröffentlicht. Sie befassen sich allesamt mit der jüngeren Geschichte des Irak und damit verbundenen gesellschaftspolitischen Fragen. Zu den wichtigsten Themen seiner Werke zählen Staatsgewalt und Repressalien in der Zeit des Regimes von Saddam Hussein, die Golfkriege und ihre Folgen für die irakische Bevölkerung, sowie das alltägliche Leben in einer von Konflikt und Gewalt gezeichneten Gesellschaft.

Cover des Buchs "Nur der Granatapfelbaum"

Sinan Antoon

Deckblatt der arabischen Ausgabe „Nur der Granatapfelbaum“

Bis jetzt hat Sinan Antoon nur einen seiner Romane selbst ins Englisch übertragen. Die arabische Ausgabe erschien 2012 unter dem Titel „Wahdaha shajarat ar-rumman“ (wörtlich „Nur der Granatapfelbaum“) und wurde 2013 als „The Corpse Washer“ auf Englisch veröffentlicht. Der englische Titel wurde allerdings nicht vom Autor, sondern vom Verlag bestimmt.

Chronik der irakischen Geschichte?

In „The Corpse Washer“ beschreibt Sinan Antoon am Beispiel einer Familie, wie sich die instabile politische Lage auf das Leben der irakischen Bevölkerung auswirkt. Jawad, der Protagonist des Romans, wird als Sohn einer schiitischen Familie geboren, die seit Generationen ein Waschhaus führt, indem die Toten der schiitischen Gemeinde durch rituelle Waschungen aufs Begräbnis vorbereitet werden.

Gegen den Willen seines Vaters entschließt sich Jawad, an der Universität von Bagdad Kunst zu studieren und tritt damit in die Fußstapfen seines Namensvetters, dem berühmten irakischen Maler und Bildhauer Jawad Saleem.

Doch als der Irak zunehmend ins Chaos versinkt, muss Jawad seine künstlerischen Ambitionen aufgeben und sieht sich gezwungen, zum Beruf seines Vaters zurückzukehren, und selbst Leichenwäscher zu werden. Die omnipräsente Gewalt lässt allerdings die Anzahl der Leichen, die täglich zu ihm gebracht werden, albtraumhafte Dimensionen annehmen.

Mehr als nur Brückenbau

In seinem Roman formuliert Sinan Antoon nicht nur eine scharfe Kritik an der katastrophalen Politik des irakischen Regimes unter Saddam Hussein und seiner Kriegstreiberei, sondern auch an der von den USA geführten Irak-Intervention mit ihren weitreichenden Folgen.

Veranstaltungshinweis

Am 26.6. hält Wolfgang Trimmel einen Vortrag am IFK | Kunstuniversität Linz: “Der Autor als Übersetzer - „The Corpse Washer“, ein irakisch-amerikanischer Roman“. Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien. Zeit: 18.15 Uhr

Dabei zeichnet er gleichzeitig das berührende Porträt eines Individuums, das inmitten von politischen Wirren, Gewalt und Chaos versucht, seinen Weg zu gehen und seine Ambitionen und Vorstellungen umzusetzen. Dadurch gelingt es dem Autor, den humanitären Aspekt der vielen Tragödien, die der Irak in den letzten Jahrzehnten erfahren musste, sichtbar zu machen.

Darüber hinaus erinnern Autoren wie Sinan Antoon daran, dass Übersetzer und Übersetzerinnen durch ihre Tätigkeit nicht erst eine Brücke zwischen zwei Kulturen und ihren literarischen Traditionen schlagen, sondern vielmehr selbst – wie es der Translationswissenschaftler Anthony Pym formuliert – „a minimal interculture“ darstellen.

Spannend ist an Sinan Antoons Selbstübersetzung nicht zuletzt, wie der Autor seine im Roman zum Ausdruck gebrachte Perspektive auf die jüngere irakische Geschichte vor einem englischsprachigen Publikum verhandelt.

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