Narzissten lieben sich gar nicht selbst

Narzissten saugen Komplimente förmlich auf und baden in Eigenlob. Ein Forscherteam aus Graz hat ihnen jetzt „ins Gehirn geschaut“ und herausgefunden, dass sich dahinter eigentlich ein negatives Selbstbild befindet.

Der Begriff „Narzissmus“ geht auf den griechischen Narziss-Mythos zurück. Und genau bei dem beginnen auch schon die ersten Unstimmigkeiten. Die tragische Geschichte erzählt von einem Schönling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. In Ovids Überlieferung bringt sich Narziss um, weil seine Liebe unerfüllbar ist. Beim Schriftsteller Pausanias hingegen verzerrt ein herabfallendes Blatt das Spiegelbild, und Narziss erschrickt durch den hässlichen Anblick zu Tode.

Die beiden Erzählungsweisen veranschaulichen zwei gegensätzliche Betrachtungsweisen von Narzissmus. Der ersten zufolge ist der Narzisst eine selbstverliebte Person, die sich mit Eigenlob überschüttet. Nach der zweiten Theorie ist das nur eine Fassade, hinter der die Narzissten ihre eigene Unsicherheit und Verletzlichkeit verstecken. Mit einer Gehirnstudie wollten die Forscher um Emanuel Jauk nun Hinweise finden, die für die eine oder andere These sprechen.

Unter dem Gehirn-Scanner

Zuerst baten sie 600 Leute zum Narzissmustest. Mit Hilfe der deutschen Version des “Narcissistic Personality Inventory“ wählten die Forscher dann rund 40 Personen aus: Eine Hälfte davon wies stark narzisstische Merkmale auf, die andere zeigte kaum Anzeichen dafür. Ähnlich wie beim Narziss-Mythos drehte sich das Experiment um die Frage: Wie reagieren Narzissten auf ein Selbstporträt?

„Das Erkennen des eigenen Gesichts ist mehr als nur visuelles Wahrnehmen. Es ist auch ein Selbstbewertungsprozess“, erklärt Jauk gegenüber science.ORF.at.

Seine Annahme: Ist jemand von sich selbst überzeugt, werden beim Betrachten eines Selbstporträts Gehirnregionen stimuliert, die auf Verlangen oder Genuss anspringen. Löst das Bild hingegen emotionale Konflikte oder negative Gefühle aus, zeigt sich Aktivität in anderen Hirnarealen. Diese Annahme überprüften die Forscher mittels funktioneller Magnetresonanztomografie.

Narzisst ist nicht gleich Narzisstin

Bei der Auswertung der Gehirnbilder zeigten sich starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Der Anblick des eigenen Gesichts löste bei den männlichen Narzissten stark negative Emotionen aus, auch wenn sie sich nach außen hin selbstbewusst und -verliebt geben.

Die Narzisstinnen hingegen reagierten auf das Foto ähnlich wie die nicht-narzisstischen Teilnehmerinnen. Ihre Gehirnaufnahme zeigte normale Muster der Selbsterkennung. Jauk: „Frauen besitzen eine höhere emotionale Kompetenz, bauen sich dadurch leichter ein soziales Netz zur Absicherung auf und sind stressresistenter. Die Irritation durch das Selbstbild ist damit vielleicht nicht so groß.“

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Narzissmus bei Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise ausprägt. Ähnliches wurde auch schon bei früheren Studien festgestellt. „Zusammengefasst lässt sich sagen, dass unsere Studie die Sichtweise von Narzissmus als „Selbst-Sucht“ nicht unterstützt, sondern auf ein zugrunde liegendes negatives Selbstbild hinweist“, so Jauk.

Anita Zolles, science.ORF.at

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