So klingt das Spätmittelalter

Im Vergleich zu Klassik und Barock ist über die Musik im europäischen Spätmittelalter relativ wenig bekannt. Ein Forschungsprojekt hat das geändert - und bietet u. a. online Hörbeispiele.

Genauso wie heute lebten Musikern und Sängern im Spätmittelalter in prekären Verhältnissen, obwohl Musik einen hohen Stellenwert hatte, erklärte die Musikwissenschaftlerin Birgit Lodes von der Universität Wien in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds (FWF) vom Juli 2017.

Jeder Herrscher, auch die Habsburger Erzherzöge und Kaiser, ließ sich von einer Kapelle besingen und unterhalten, Musik begleitete die damaligen Umbrüche: gesellschaftliche Veränderungen, technologischer Fortschritt, Krieg, Seuchen und Reformation.

Musikalische Praxis und Alltag

Wie der Soundtrack zu dieser bewegten Zeit klingt, kann auf der Website Musical-life.net nachgehört werden. Dort machen Lodes und ihr Team die Ergebnisse des Forschungsprojekts mit dem Titel „Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich“ zugänglich. Mehrere Jahre beschäftigte sich die Forschergruppe mit dem Zusammenhang zwischen musikalischer Praxis und dem Alltag damals lebender Menschen.

Sie brachten verstreut publizierte Fragmente und Notate von Musikstücken aus dem österreichischen Raum mit Erkenntnissen zur Lebenswelt zusammen und setzten Materialität und Spiritualität, volkstümliche und höfische Kulturen, zeremonielle und intellektuelle Traditionen miteinander in Bezug.

„Die heutige Vorstellung vom ‚Musikland Österreich‘ gewinnt durch die kulturwissenschaftliche Arbeit immens an Tiefe - und die Region Österreich verliert noch mehr an nationaler Einheitlichkeit“, so Lodes.

Viele Stücke erstmals aufgenommen

Das Musikstück „Der sunnen glanst“ des Minnesängers Neidhart in der Fassung der in Wien und Hainburg aufgeschriebenen Eghenvelder Handschrift ist eines von vielen, die im Rahmen des Projekts erstmals aufgenommen wurden. Die Musik des späten Mittelalters klinge anfangs ungewohnt, da Österreichs Musikwahrnehmung auf barocke Musik und die Wiener Klassik fokussiere, erklärte Lodes. Ihr sei es deshalb ein besonderes Anliegen, dafür zu sensibilisieren, welch vielfältige Musikpraktiken das Leben der Menschen im österreichischen Raum schon im 14. bis 16. Jahrhundert prägten.

Im Handel sind zwei CDs mit neuen Einspielungen erhältlich: „Flos viriginum“ des Ensembles Stimmwerck und „Argentum et Aurum - Musical Treasures from the Early Habsburg Renaissance“ (Ensemble Leones, aus 2015). „Argentum et Aurum“ präsentiert einen Überblick über die Musikkultur der Habsburger Dynastie im Spätmittelalter und wurde mit dem International Classical Music Award (ICMA) ausgezeichnet.

science.ORF.at/APA

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