Der tragbare Defi wird 50

Defibrillatoren - die lebensrettende Reset-Taste für außer Takt geratene Herzen. Vor 50 Jahren wurde er erstmals „mobil“. Heute findet man sie an fast allen Orten - auf Bahnhöfen, in Flugzeugen oder auch in Einkaufszentren und künftig auch in der Hosentasche.

Der plötzliche Herztod ist eine der häufigsten Todesursachen in Europa. Jedes Jahr bleibt bei bis zu 700.000 Menschen das Herz auf einmal stehen. Retten kann sie nur sofortige Hilfe. „Die kritische Zeit sind die ersten drei bis vier Minuten. Wenn es uns gelingt, dass wir innerhalb dieses Zeitfensters einen Defibrillator und einen Helfer vor Ort bekommen, der hochqualitative Herzdruckmassage macht, dann steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit massiv an“, sagt der Notfallmediziner Christoph Weiser vom AKH Wien.

Denn mit jeder Minute, in der das Herz nicht durch eine Druckmassage und zusätzlich durch den elektrischen Schock eines Defibrillators wieder regelmäßig zum Schlagen gebracht wird, sinkt die Chance zu überleben um zehn Prozent. Nach zehn Minuten ohne Reanimationsversuch, ist der Patient meist nicht mehr zu retten. „Wir können diese Zeit am Anfang, wo nichts passiert, nicht mehr wiederholen. Unsere ganze Maschinerie und Technik, die wir im Krankenhaus anbieten können, funktioniert umso besser, je kürzer dieses Zeitintervall am Anfang war“, so Weiser.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmen sich auch die „Dimensionen“ am 8.8. um 19:05.

Wer hat’s erfunden? Die Nordiren

Einer der ersten Mediziner, der verstand, dass Zeit bei Herz-Kreislauf-Stillständen eine wichtige Rolle spielt, war der nordirische Kardiologe Frank Pantridge aus Belfast. „Pantridge wusste, dass es einen erheblichen Unterschied machen würde, wann ein Patient defibrilliert wird. Er war überzeugt, es würde entscheiden, ob jemand stirbt oder gesund wurde - ohne bleibende Schäden davonzutragen. Dieser Meinung waren damals nicht viele Ärzte“, erinnert sich der Medizintechniker Jim McLaughlin von der Ulster University in Belfast.

Anfang der 1960er Jahre waren Defibrillatoren nur im Spital verfügbar. Sie waren ausgesprochen schwer, unbeweglich und man musste sie größtenteils an die Steckdose anschließen. „Das Problem ist, wenn man 15 Minuten zum Patienten braucht und 15 Minuten ins Spital, vergehen mindestens 30 Minuten bevor ein Schock abgegeben wird“, so McLaughlin.

Defibrillator

JEAN-PIERRE CLATOT / AFP

Defibrillator an einer Wand

Menschen, die auf der Straße oder gar zu Hause einen Herzkreislaufstillstand erlitten, galten deshalb in Belfast Anfang der 1960er Jahre gemeinhin als nicht mehr zu retten. „Man dachte, es mache keinen Sinn, schnell in das Haus von Patienten zu fahren, weil sie sowieso nicht mehr leben würden.“ Pantridge liebte jedoch die Herausforderung, sagt Jim McLaughlin.

So setzte sich der Kardiologe das ehrgeizige Ziel, den ersten tragbaren Defibrillator zu bauen - ein Gerät, mit dem man schnell beim Patienten war - egal ob dieser sich in der eigenen Wohnung befand oder in einem Supermarkt. Das Problem war nur: sowohl Akkus als auch die Kondensatoren waren zu dieser Zeit nur in einem Format vorhanden: in XXL - also groß und schwer.

Um eine Lösung zu finden, holte sich Frank Pantridge 1967 den jungen Medizintechniker John Anderson an Bord. Noch im selben Jahr gelang es diesem tatsächlich, den Apparat kleiner und leichter zu machen und dessen Gewicht auf 20 Kilogramm zu schrumpfen. Es war dies der erste tragbare Defibrillator weltweit - eine Erfindung, die die Notfallmedizin nachhaltig revolutionieren sollte.

Baujahr ’67 – Zeitreisen mit Ö1

Was hat 1967, das Gründungsjahr von Ö1, bewegt? Und was davon ist heute noch in Betrieb? In einem Jubiläumsschwerpunkt zum 50er begeben sich zahlreiche Sendungen auf Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft - mehr dazu in Baujahr ’67 - 50 Jahre Ö1.

Erster „mobiler“ Defi in der Linzer VÖEST?

Frank Pantridge und John Anderson schrieben mit dem sogenannten „wirklich tragbaren“ Defi 1967 Geschichte. Den ersten Versuch, einen Defibrillator mobil zu machen, gab es aber streng genommen bereits sechs Jahre früher, im Jahr 1961 - und zwar in der VÖEST in Linz, berichtet die Historikerin Daniela Angetter von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

„Es war im Prinzip ein Defi, der am Auto mitgeführt wurde und das Auto fuhr aber zum Patienten hin - also im Werkstättengelände. Dadurch war die Überlebenschance viel größer.“ Tragbar war der dieser Defi zwar nicht, aber der Ansatz war durchaus fortschrittlich. „Das Sensationelle war, dass damals auch eine telemetrische Übertragung möglich war. Das heißt, man konnte das EKG des Patienten schon an eine Intensivstation im Spital übermitteln. Das heißt, wenn der Patient dorthin gebracht wurde, hatten die Ärzte schon eine Ahnung und konnten schneller reagieren.“

International wie national ist dieser Fall jedoch kaum bekannt. Ob Frank Pantridge davon wusste? Jedenfalls baute auch er ein Jahr vor seinem großen Durchbruch 1967 ein erstes Modell eines mobilen Defibrillators in einen Krankenwagen ein. Dieser wog allerdings noch 50 Kilogramm und bezog - wie beim Linzer Modell auch - den notwendigen Strom von der Autobatterie.

Pantridge und Anderson gaben sich aber auch nach ihrem Erfolg, dem Bau eines tragbaren 20-Kilo-Defi, nicht zufrieden. Es gelang ihnen innerhalb weniger Jahre, die Geräte immer leichter und kleiner zu machen. Im Jahr 1973 erreichten die beiden Erfinder ein Gewicht von gerade einmal 3,5 Kilogramm.

Blasse Spur von Defis in Österreich

In Österreich waren diese leichten Geräte damals aber noch nicht im Einsatz, erinnert sich der Notfallmediziner Fritz Sterz vom AKH Wien: „Ich kann mich noch erinnern - Matu hieß des Gerät, das war ein riesen Kasten. Dass man damit am Ort des Notfalls defibrillieren konnte, war für uns ziemlich beeindruckend, das Gerät war aber auch nicht sehr beliebt bei den Sanitätern und natürlich auch bei mir nicht, weil ich immer zu faul war, das Ding zu schleppen.“

In Linz und in Graz wurde 1974 der Defibrillator am Notarztwagen erstmals eingesetzt. Wien war mit 1975 der nächste Schwerpunkt, wo Defibrillatoren in die präklinische Versorgung aufgenommen wurden, erklärt Angetter. Wie sich der Defibrillator in Österreich weiterentwickelt hat und wann er auch hierzulande leichter wurde, ist jedoch nicht bekannt: „Wirklich nachzuvollziehen ist die Geschichte erst ab den beginnenden 2000er Jahren. Als der Defibrillator auch für die Öffentlichkeit ein wichtiges Hilfsmittel in der Reanimation geworden ist. Davor ist es eigentlich ein Forschung-Desiderat, das in der Medizingeschichte noch massiver Aufarbeitung bedarf.“

Der 1. 1974 in Linz stationierte Notarztwagen bereits ausgestattet mit einem Kombigerät EKG/ Defi der Marke Hellige, von innen

Archiv Österreichisches Rotes Kreuz – Landesverband für Oberösterreich

Der erste 1974 in Linz stationierte Notarztwagen bereits ausgestattet mit einem Kombigerät EKG/Defi der Marke Hellige, von innen

Bis heute haben es Forscher und Techniker nicht aufgegeben, den Defi immer noch wesentlich kleiner zu machen. In der Steiermark zum Beispiel arbeitet eine Grazer Firma daran, einen Defi für die Hosentasche zu entwickeln: Den Pocket Defi. Das Gerät soll in etwa so groß wie zwei Packungen Taschentücher sein, heißt es - damit wäre der sogenannte Taschen-Defi viel kleiner als alle Defibrillatoren bisher. Eine Erfindung, von der auch der Notfallmediziner Fritz Sterz hofft, dass sie möglichst bald den Markt erobern wird. „Ich schwöre es Ihnen, wenn der kommt, kann sich niemand mehr erwehren. Wo der Defi nämlich hingehört, ist in die Haushalte, weil dort passieren ja 80 Prozent aller Herzstillstände. Er ist überall auf den Straßen schon, er ist in allen Rettungsautos, er ist in vielen Geschäften, aber wo er hingehört, ist daheim.“

Auch der Notfallmediziner Christoph Weiser ist davon überzeugt, der Defi hat seine finale Größe und sein volles Potenzial noch nicht erreicht. „In zehn Jahren wird jedes Handy eine Defibrillationsmöglichkeit haben. Das wird mit Sicherheit Standard.“ Derzeit stelle sich jedoch die Frage, weshalb nicht auch in jedem Wohnhaus neben einem Feuerlöscher ein Defi hänge.

Zwar kommt in Österreich statistisch gesehen jeder „nur“ etwa einmal in seinem Leben in die Situation, einen Menschen reanimieren zu müssen. Allerdings könnte dann ein direkt verfügbarer Defi, die Chance zu überleben, deutlich erhöhen.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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