Wenn Süßes plötzlich bitter schmeckt

Neues aus der Kategorie „Kuriose Versuche an Mäusen“: Forscher haben die Geschmacksknospen von Labormäusen an die falschen Nerven angeschlossen - und damit eine Sinnesverwirrung ausgelöst. Für die Nager schmeckte Süßes bitter und Bitteres süß.

Galileo Galilei ist für seine Beiträge zur Physik und Astronomie bekannt, doch der italienische Gelehrte beschäftigte sich auch mit dem menschlichen Körper. In seinem Frühwerk „Il Saggiatore“ (1623) äußerte er etwa die Vermutung, dass kleine Partikel die Geschmacksempfindung hervorrufen. Ob die Empfindung angenehm ist oder nicht, notierte Galilei, „hängt von der Form dieser kleinen Korpuskel ab“ - und lag damit durchaus richtig.

Heute weiß man: Die Inhaltsstoffe des Essens docken bei Rezeptoren in den Geschmacksknospen an, wo sie die fünf Grundqualitäten Süß, Sauer, Bitter, Salzig und Umami vermitteln. Die Information wandert dann über die Auswüchse zweier Ganglien, eine Art neuronale Relaisstation, bis in die Großhirnrinde. Dort wird das Signal zur Empfindung, im besten Fall: zur Gaumenfreude.

„Verdrahtung“ der Zunge umgepolt

Die Rezeptorzellen in der Zunge sind allerdings recht kurzlebig. Sie werden nach zwei bis 20 Tagen erneuert und müssen daher auch immer wieder neu „verdrahtet“ werden. Wie findet eine Rezeptorzelle die richtige Nervenfaser? Wie kommt die Information trotz der Dauerbaustelle in der Zunge an der richtigen Stelle an? Das war bis vor kurzem unklar.

Studie

„Rewiring the taste system“, Nature (9.8.2017).

Forscher um Hojoon Lee vom Howard Huges Medical Institute in New York haben nun eine Antwort gefunden: Die Rezeptorzellen finden ihr Ziel offenbar mit Hilfe von Orientierungsmolekülen, sogenannten Semaphorinen. Und damit die Ordnung der Sinne erhalten bleibt, steht für jede Qualität ein passendes Semaphorin zur Verfügung, wie Lee und seine Kollegen im Fachblatt „Nature“ schreiben.

Um diese Diagnose zu untermauern, führten die Forscher einen ungewöhnlichen Versuch durch: Sie züchteten Mäuse, bei denen die molekulare Orientierungshilfe für Süß und Sauer vertauscht war, die „süßen“ Rezeptoren verbanden sich mit den „bitteren“ Nervenfasern - und umgekehrt.

„Wir konnten die Mäuse natürlich nicht fragen, was sie empfinden“, sagt Lee gegenüber science.ORF.at. „Aber ich gehe davon aus, dass für sie Süßes tatsächlich bitter geschmeckt hat. Und Bitteres süß.“

Was ist die Süße?

Dass es sich so verhält, legen jedenfalls Verhaltenstests nahe. Die mutierten Mäuse hatten kein Problem mit Wasser, das mit Bitterstoffen versetzt worden war, und tranken dieses munter. Ganz im Gegensatz zu ihren normalen Artgenossen, die um das Wasser einen großen Bogen machten. Lee kann dem Versuch auch eine grundsätzliche Einsicht abgewinnen, die Wahrnehmung ist nicht so wahr, wie sie scheint: „Realität ist das, was das Gehirn aus den Sinneseindrücken macht.“

Das wiederum ließe sich als Postskriptum zu einer These lesen, die vor mehr als 2.000 Jahren geäußert wurde. Schon der griechische Wanderredner Timon von Phleius stellte fest, dass der Honig genau genommen nicht süß ist, sondern bloß süß erscheint. Sextus Empiricus fügte hinzu: „Und der gleiche Honig scheint mir süß, denen mit Gelbsucht aber bitter.“ Hätten Lees Mäuse eine Neigung zum Philosophieren, sie würden den alten Griechen wohl zustimmen.

Robert Czepel, science.ORF.at

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