Geflüchtete Lehrer sollen wieder arbeiten

Rund 18.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche besuchen heuer Österreichs Schulen. Unter dem Lehrpersonal sind hingegen kaum geflüchtete Menschen. Das möchte ein nun an der Universität Wien gestarteter Lehrgang ändern.

Zumindest für eine kleine Gruppe: Elf Männer und neun Frauen wurden für den Zertifikatskurs „Bildungswissenschaftliche Grundlagen für Lehrkräfte mit Fluchthintergrund“ ausgewählt. Um einen Platz im Kurs zu bekommen, mussten sie bereits gute Deutschkenntnisse, einen positiven Asylbescheid sowie Unterrichtserfahrung in ihren Herkunftsländern mitbringen - und ein Fach, das in Österreich unterrichtet und gebraucht wird, so Gottfried Biewer, Professor für Sonder- und Heilpädagogik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Lehrgangs, gegenüber Ö1. „Menschen mit Fächern wie arabische Sprache und islamische Religion etwa haben wir abgeraten, sich zu bewerben. Das ist einfach kein Fach, das für den österreichischen Schuldienst benötigt wird.“

Lehren abseits der reinen Wissensvermittlung

Ö1-Sendungshinweis:

Zu Wort gekommen sind die geflüchteten Lehrerinnen und Lehrer am 13.9. im Morgenjournal. Mit Gottfried Biewer war ein ausführliches Interview zu hören.

Die Menschen, die nun den Lehrgang besuchen, stammen mehrheitlich aus Syrien, vergleichsweise wenige aus dem Irak und Iran und eine Frau aus Tschetschenien. Ihre Fächer liegen großteils im MINT-Bereich, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Physik- und Chemie-Lehrer sind ebenso darunter wie Elektrotechnik- und Mathematik-Lehrerinnen. Im Lehrgang bekommen sie zusätzlich zu ihrer Fachausbildung die didaktischen und pädagogischen Grundlagen vermittelt. „Das Bild des Lehrers ist in den Herkunftsländern ein anderes, sehr auf die Stoffvermittlung beschränkt. Vor allem Lehrer in Wien stehen aber großen pädagogischen Herausforderungen abseits der reinen Wissensvermittlung gegenüber.“ Der Lehrgang soll darauf vorbereiten, so Biewer.

Die Englischlehrerin Raffif aus Syrien

Elke Ziegler, ORF

Die Englischlehrerin Raffif aus Syrien

„Dieser Kurs ist eine große Chance, um meine Kenntnisse über die Bildung und das Schulsystem in Österreich zu entwickeln“, sagt etwa der 36-jährige Ahmed, Informatiklehrer aus dem Irak, im Interview mit Ö1. Und Raffif, 26-jährige Englischlehrerin aus Aleppo in Syrien, ergänzt, dass das Bildungssystem in Österreich anders strukturiert und vielfältiger sei als in ihrem Heimatland. „Der Lehrgang ist für mich eine Chance, andere kulturelle Hintergründe kennenzulernen.“

Zusätzlich zu ihrer Rolle als Fachlehrer sollen die Frauen und Männer auch Ansprechpartner für Flüchtlingskinder und ihre Eltern sein. „Natürlich können wir hier helfen“, sagt Raffif. Und auch Ahmed betont: „Für die Lehrer und Lehrerinnen in österreichischen Schulen ist die Kommunikation mit den Eltern oft sehr kompliziert. Hier können wir eine wichtige Rolle spielen.“

Hoffen auf Sondervertrag

Neben zahlreichen Prüfungen stehen bis Ende Juni insgesamt drei Praktika für jeden Lehrer, jede Lehrerin am Programm. Mittelschulen haben sich bisher ebenso interessiert gezeigt wie Gymnasien, sagt Lehrgangsleiter Gottfried Biewer. Von Beginn an habe man intensiv mit dem Wiener Stadtschulrat kooperiert, schon bei den Aufnahmegesprächen war eine Vertreterin dabei. „Dadurch konnte sich der Stadtschulrat eine Meinung über die Bewerberinnen und Bewerber bilden und uns beraten, damit wir nur Menschen aufnehmen, die auch tatsächlich gebraucht werden.“

Die Offenheit des Stadtschulrats braucht es auch noch aus einem anderen Grund: Lehrer und Lehrerinnen etwa aus Syrien und den anderen Hauptfluchtländern bringen meist nur ein Fach mit, in Österreich müssen sie für die Sekundarstufe - also Mittelschule und AHS - aber zwei Fächer absolviert haben. Um nach dem Uni-Lehrgang tatsächlich unterrichten zu können, brauchen sie einen Sondervertrag, um parallel zum Unterrichten die Zusatzqualifikation zu erwerben. Und hier ist wieder das offene Ohr des Stadtschulrats gefragt. Englischlehrerin Raffif wüsste schon, welches Fach sie noch belegen würde: „Französisch, weil ich die Sprache in Syrien sechs Jahre lang gelernt habe.“

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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