Keine Rekordverluste – aber fast

Die alpinen Gletscher schmelzen weiter stark: Nur der kühle September hat eine neuerliche Rekordschmelze verhindert. Dies ist die vorläufige Bilanz des Gletscherjahres 2017, die die Gletscherforscher Heinz Slupetzky und Andrea Fischer ziehen.

Noch im Juli hatten sie im letzten Eintrag ihres Gletschertagebuchs einen neuen Negativrekord für möglich gehalten.

Porträt von Heinz Slupetzky und Andrea Fischer

Slupetzky/Fischer

Biografien und Links der Autoren

Heinz Slupetzky ist Professor i. R. im Fachbereich Geografie und Geologie der Universität Salzburg. Er war Leiter der Abteilung für Gletscher- und vergleichende Hochgebirgsforschung sowie der Hochgebirgs- und Nationalparkforschungsstelle Rudolfshütte.

Andrea Fischer ist Gletscherforscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihr Hauptforschungsgebiet sind Gebirgsgletscher und deren Änderung im Klimawandel.

Für science.ORF.at führen Slupetzky und Fischer seit 2003 ein Gletschertagebuch - in diesen Jahren ging es mit dem Gletschereis stetig bergab, ein Ende des Trends ist nicht abzusehen.

Stark negative Bilanz des Stubacher Sonnblickkeeses

Die schon viele Jahre andauernde Phase von überwiegend negativen Massenbilanzen der Alpengletscher hat sich in diesem Jahr fortgesetzt, auch beim Sonnblickkees (SSK). Der Salzburger Gletscher hatte schon im August einen um drei Wochen früheren Ausaperungsstand als im Jahr zuvor.

Das SSK war am Ende des Sommers wieder sehr stark ausgeapert, d.h. fast der ganze Schnee vom Winter ist abgeschmolzen und es blieben nur kleine Altschneeflecken zurück, womit die „Einnahmenseite“ im Haushaltsjahr unbedeutend waren, umgekehrt die „Ausgabenseite“ in der Bilanz sehr hoch war. Letztlich hat der SSK im heurigen Sommer bis zu 2,5 Metern an Eisdicke verloren.

Massenbilanzen des Stubacher Sonnblickkeeses

Hydrographischer Dienst Salzburg und Heinz Slupetzky

Die jährlichen Massenbilanzen des Stubacher Sonnblickkeeses: Abgesehen vom Rekordjahr 1947 traten stark negative Jahre gehäuft in den vergangenen elf Jahren auf

Ein zu heißer Sommer

Der meteorologische Sommer 2017 (Juni, Juli, August) liegt in der vorläufigen Sommerbilanz um zwei Grad Celsius über dem vieljährigen Mittel und reiht sich damit in den Rekordlisten ganz weit vorne ein. „Wärmer waren in der 251-jährigen Messgeschichte nur der Sommer 2003 mit 2,9 Grad und von 2015 mit 2,4 Grad Celsius über dem Mittel", sagt der Klimatologe Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). „Österreich erlebte die elf wärmsten Sommer der 251-jährigen Messgeschichte im Zeitraum 2000 bis 2017."

Wie war die „Wetter-Geschichte“ beim Stubacher Sonnblickkees? Gab es noch in der ersten Maihälfte Schneefälle bis unter 2.000 Metern, die damit den Beginn der Abschmelzzeit hinausschoben, so wurden aufgrund jahreszeitlich früher extremer Wärme im letzten Maidrittel die winterlichen Schneereserven schon stark abgebaut.

Die Schneeschmelze setzte sich fort: Der Juni war der zweitwärmste der Messgeschichte mit langen, frühen Hitzewellen (ZAMG); nur Schneefälle vom 7. bis 9. Juni bis 1.800 Meter brachten eine kurze Unterbrechung. Darüber hinaus zählte dann der Juli zu den 20 wärmsten. Wenig ergiebige Schneefälle bis 2.200 Meter herab Anfang und Mitte des Monats führten zu einer nur kurzen Unterbrechung der Abschmelzung.

Der August war laut ZAMG der fünftwärmste in der Messgeschichte, wieder lag bei kurzen Kaltlufteinbrüchen die Schneegrenze nur bei 2.300 bis 2.400 Metern, das Stubacher Sonnblickkees (das bei 2.650 Metern endet) war in nur wenigen Tagen wieder aper.

SSK am 26.8.2018. Der Stubacher Sonnblick (3.088 m). Der Gletscher ist stark ausgeapert, nur mehr Altschneereste sind vorhanden.

Heinz Slupetzky

SSK und Stubacher Sonnblick am 26.8.2018. Der Gletscher ist stark ausgeapert, nur mehr Altschneereste sind vorhanden.

Frühes Ende der Gletscherschmelze

Ein früher „Wintereinbruch“ im Hochgebirge vom 1. auf 2. September mit zum Teil ergiebigen Schneefällen in den Hohen Tauern beendeten die lange sommerliche Ablationszeit. An der Wetterstation Rudolfshütte in 2.300 Meter Seehöhe lagen am 2. September 40 Zentimeter Neuschnee, immer wieder kam Schnee dazu. Die Summe der Neuschneehöhe betrug vom 1. bis 19. September 125 Zentimeter; am 20.9. lagen 55 Zentimeter Schnee. Föhnphasen ließen das Felsgelände wieder aper werden, das Sonnblickkees blieb aber schneebedeckt.

Die Schneefälle im September fielen nicht überall so stark aus wie am SSK, die Schneedecke auf den Gletschern war teils nur dünn. Durch die Häufigkeit der Schneefälle und die niedrigen Schneefallgrenzen (teils unter 2.000 Metern) sind derzeit aber alle Gletscher Österreichs schneebedeckt. Damit „verhinderte“ die kühle Witterung in einem September ohne spätsommerlichen Schönwetterphasen einen neuen Rekordmassenverlust der Gletscher.

Das Sonnblickkees am 17. August 2017

H. Wiesenegger, Hydro Salzburg

Das Sonnblickkees am 3. August 2017

Summenwirkung negativer Bilanzen

Das Stubacher Sonnblickkees hat seit Beginn der 1980er Jahre die Hälfte seiner Fläche und mehr als das halbe Volumen von damals verloren. Der Gletscher wurde immer dünner, besonders bei diesem Gletschertyp löst sich der ehemals geschlossene Eiskörper auf, das Relief des Felsuntergrundes und die ausapernden Felsstufen trennen einzelne Eisbecken voneinander ab. Es ist abzusehen, dass in naher Zukunft nur mehr einzelne Eisflecken übrig bleiben werden.

Der Gletscher hat seit 1982 im Mittel über die gesamte Gletscherfläche rund 34 Meter Eis eingebüßt (oder 40 Millionen Kubikmeter Eis).

Summenkurve der Massenbilanzen vom Stubacher Sonnblickdees

Hydrographischer Dienst Salzburg und Heinz Slupetzky

Summenkurve der Massenbilanzen vom Stubacher Sonnblickkees: 2003 waren die Verluste am höchsten

Allgemein starker Massenverlust der Alpengletscher

Auch andere Gletscher Österreichs haben stark an Masse verloren. In einer ersten Abschätzung haben die Gletscher im äußersten Westen Österreichs am schlechtesten abgeschnitten. Die Massenbilanz des Jamtalferners in der Silvretta lag bis zu den Schneefällen Anfang September etwa gleichauf mit dem Rekordjahr 2015, in dem am untersten Pegel sechs Meter Eis abschmolz. 2017 schmolzen an der Zunge nur fünf Meter Eis – den Unterschied machte der Wintereinbruch Anfang September, der 2015 erst nach Mitte des Monats eintraf.

Am Venedigerkees in den Hohen Tauern liegt laut Bernd Seiser (IGF) ab etwa einer Höhe von 3.025 Metern noch Schnee aus dem Winter. Dem Hallstätter Gletscher am Hohen Dachstein setzte der Sommer 2017 stark zu, er aperte aber nicht vollständig aus (Kay Helfricht, IGF).

Die Gletscher in den Hohen Tauern haben als Folge des extrem heißen Sommers stark negative Massenbilanzen. Am Goldbergkees und am Kleinfleißkees gab es nahezu Null Rücklagen an Altschnee. Die Pasterze war bis in höchste Regionen aper, wie die automatischen Kameras dokumentierten, war Ende August/Anfang September das Maximum erreicht. „Für die Pasterze rechne ich mit einer Massenbilanz von minus 1,5 Meter Eis und für die zwei kleinen Gletscher am Sonnblick ca. minus zwei Meter. Also in einer ähnlichen Größenordnung wie 2003 und 2011.“ (Bernhard Hynek, ZAMG).

Gletscher

H. Slupetzky

Negatives auch aus Südtirol

„Wir rechnen mit einem sehr negativen Jahr für die Gletscher Südtirols“, berichtet auch Roberto Dinale vom Hydrographischen Amt in Bozen. Einerseits wegen des schneearmen Winters, aber auch aufgrund der überdurchschnittlichen Temperaturen zwischen Mitte Mai und Ende August.

„Die schlechtesten Haushaltsergebnisse erwarten wir in den südlichen Landesteilen, d.h. vom Ultental bis in das Ortlergebiet am Weissbrunnferner und Langenferner, so wie in der Reschengegend mit negativen Massenbilanzen von über zwei Metern mittlerer Eisverlust.“Ganz so negativ wie 2003 dürften aber auch hier die Massenbilanzen nicht werden.

Nur wenig besser dürften die Gletscher am zentralen (Übeltalferner) und östlichen Alpenhauptkamm (Rieserferner) abschneiden mit Werten im Bereich von minus 1,5 bis minus1,8 Meter gemittelt über die Gletscherfläche.

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