Wer fürchtet sich vorm Roboter?

Maschinen übernehmen die Arbeit von Menschen. Algorithmen bewerten, ob man effektiv genug arbeitet und freundlich ist. Das könnte „zu sozialen Verwerfungen“ führen, sagt der Soziologe Oliver Nachtwey. Maschinen könnten aber auch mehr Zeit bringen.

Bekannt geworden ist Oliver Nachtwey mit seinem Buch „Die Abstiegsgesellschaft“. Darin beschreibt der Soziologe von der Universität Basel unsere Gesellschaft als eine, in der prekäre Arbeitsverhältnisse häufiger geworden sind, soziale Sicherheiten schwinden und folglich der Abstand zwischen Arm und Reich größer wird.

Porträt Oliver Nachtwey

Hans Leitner

Oliver Nachtwey

Es sei wie auf einer Rolltreppe: Während es für alle Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich und gesellschaftlich nach oben ging (Ulrich Beck prägte dafür den Begriff des Fahrstuhleffekts, Anm.), kehrte sich die Fahrtrichtung der Rolltreppe im Laufe der 1970er Jahre für die Mittel- und Wenigverdiener um.

Verantwortlich sind Roboter und Algorithmen dafür natürlich nicht, „allerdings könnten sie die gesellschaftliche Talfahrt weiter aufrechterhalten“, so Nachtwey. Gleichzeitig stecke in den Technologien auch „das große Potenzial der Emanzipation“. „Denn als Gesellschaft hätten wir irgendwann die Möglichkeit, die Arbeitszeit wie unsere Arbeit besser zu verteilen“, erklärt der Soziologe.

science.ORF.at: Sollte man sich vor Robotern und Algorithmen fürchten?

Nachtwey: Ich zögere, weil ich denke, dass sich allgemein zu viel gefürchtet wird. Es gibt aber durchaus Grund zur Sorge. Bislang sind Roboter in erster Linie ein Instrument, das der Mensch bedient und das ihm gehorcht. Aber viele Algorithmen und künstliche Intelligenz (KI) sind sehr intransparente Systeme. Google gibt Algorithmen beispielsweise nicht heraus und bei KI wissen wir gar nicht, wie die neuronalen Netze ihre Verbindungen knüpfen.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch die Sendung „Digital Leben“ am 27.9. um 16.55 Uhr.

Facebook musste beispielsweise soeben zwei KI-Bots abstellen, weil sie in der Kommunikation miteinander eine eigene Sprache entwickelt hatten. Das war völlig ungefährlich, trivial im Grunde, aber es zeigt, dass hier etwas produziert wird, das sich der menschlichen Kontrolle und unserem Verständnis entzieht. Vor dieser Blackbox habe ich großen Respekt, weil hier unvorhergesehene Nebeneffekte entstehen können, die sich negativ auf die Gesellschaft auswirken.

Wie sollte man dieser Angst begegnen?

Nachtwey: Am besten, man wird sich ihrer bewusst, spricht darüber mit Freunden, Kollegen und in der Nachbarschaft und wird vielleicht auch zivilgesellschaftlich dazu aktiv. Furcht ist nur notwendig, wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzt und selber nichts macht.

Sie beschreiben in ihrem Buch „Die Abstiegsgesellschaft“, dass soziale Sicherheiten schwinden und es immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse gibt. Wird diese Entwicklung durch das stärkere Einbeziehen von Robotern und Algorithmen vorangetrieben?

Nachtwey: Die soziale Unsicherheit wurde zwar nicht durch Algorithmen oder Roboter vorangetrieben, sondern durch die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse in den letzten 20 Jahren. In Deutschland wurden z.B. Befristungen und Leiharbeit ausgeweitet sowie der Kündigungsschutz eingeschränkt. Allerdings kann man sagen, dass diese Technologien eine neue Rolle spielen können, diese Verunsicherung der Gesellschaft fortzuführen.

Wo zum Beispiel?

Nachtwey: Nehmen Sie Uber. Der Fahrdienstanbieter verzichtet vollständig auf Regulierungen sowie auf Arbeitsschutz. Man gewährt Autonomie, aber das ist nur eine Scheinautonomie. Vielmehr zeigt es, wie man mit Algorithmen eine Gesellschaft des Wettbewerbs installieren kann.

Ich habe viele Uberfahrer interviewt. Wo der herkömmliche Taxifahrer häufig etwas mürrisch ist - zumindest in vielen deutschen Städten -, werden Sie einen Uberfahrer stets sehr freundlich erleben. Denn nur wenn Sie ihn nach der Fahrt mit fünf Sternen bewerten, lässt ihn der Algorithmus weiter für Uber fahren. Dahinter verbirgt sich also ein System, das Menschen gefügig und freundlicher machen soll, auch wenn sie es manchmal gar nicht sein wollen. Ähnliches findet man auch in anderen Unternehmen wie IBM, wo Mitarbeiter von Ihren Kollegen bewertet werden sollen. Das ist eine neue Form von Herrschaft.

Das Problem ist dabei vor allem, dass es zu neuen anonymisierten Konflikten kommt, die sich schwer austragen lassen. Den Vorgesetzten kann man konfrontieren und sagen, das war ungerecht. Wohin aber gehen Sie bei einem Algorithmus? Ich sehe, dass Menschen von den Bewertungsskalen abhängig werden und sich dem Wettbewerb viel stärker unterwerfen müssen.

Wer profitiert davon und haben diese Innovationen nicht auch „Erleichterungen“ in der Arbeitswelt gebracht?

Nachtwey: Im Grunde haben wir zumindest in Westeuropa weniger Menschen in sehr unangenehmen, körperlich harten Tätigkeiten beschäftigt, weil man diese Bereiche automatisieren konnte. Es gibt nun in diesen Fabriken mehr Beschäftigung für Menschen mit einer besseren Ausbildung. Das hat erst einmal vielen Menschen einen gewissen sozialen Aufstieg ermöglicht. Jene aber, die dort nicht mitgekommen sind, wurden eher abgehängt.

Diese 30 bis 40 Prozent der unteren Einkommensgruppen haben in den letzten 15 Jahren eher Einkommensverluste verzeichnet und darüber hinaus soziale Sicherheiten verloren. Sie stehen auf der unteren sozialen Stufe und haben kaum noch Möglichkeiten, von dort wegzukommen. Leute mit einer schlechten Ausbildung werden von den Robotern zwar nicht gänzlich verdrängt, sie haben aber auch kaum Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu verbessern.

Demgegenüber steht aber nun das eine Prozent der Superreichen, die nun tatsächlich die Automatisierungsdividende bekommen. Dazu zählen Firmen wie Amazon, Google, Microsoft, Apple, Facebook und Co., die die größte Kontrolle über Algorithmen haben und damit alle Gewinne einstreifen.

Um zu verhindern, dass Menschen abgehängt werden, wird immer wieder über Bildung 4.0 gesprochen, wo es darum geht, Kindern früh digitale Kompetenzen zu vermitteln. Bringt das langfristig eine Verbesserung für die unteren 30 Prozent?

Nachtwey: Leider nein. Es gibt das Grundproblem in den politischen Diskussionen, dass man immer nur die Teilbereiche und nicht die Gesamtgesellschaft betrachtet. Mehr Bildung ist immer gut, aber gleichzeitig müssen wir sehen: Wenn alle sich auf die Zehenspitzen stellen, sieht zwangsläufig niemand besser. Es haben dadurch zwar mehr Menschen die Möglichkeit, bei diesem Upgrading mitzumachen, gleichzeitig erhöht es aber auch die Konkurrenz unter den Hochqualifizierten. Wenn wir also mehr gut qualifizierte Leute haben, ohne gleichzeitig für mehr soziale Sicherheit zu sorgen, werden die Lebensumstände für diese Menschen auf lange Sicht wieder prekärer. Deshalb müssen wir immer Bildung mit sozialer Sicherheit, Arbeitsmarkt und Branchenstrukturen zusammendenken.

Was würde für soziale Sicherheit sorgen? Das bedingungslose Grundeinkommen, das in diesem Zusammenhang oft gefordert wird?

Nachtwey: Ich denke, es ist eine schöne Idee, mit der man auf den Umbruch, in dem wir leben, reagieren kann. Das Problem ist aber, dass es nur eine flache Absicherung nach unten bietet, die in keinerlei Beziehung zur Qualifikation, dem tatsächlichen Bedarf, dem Alter oder der beruflichen Position eines Menschen steht.

Im Falle, dass die Firma Pleite geht oder man sich beruflich neuorientieren möchte, wäre es wichtig, dass jemand, der 30 Jahre voll berufstätig war und in das Sozialsystem eingezahlt hat, eine entsprechend höhere Absicherung erhält, als jemand, der 18 Jahre alt ist, keine Familie hat und noch kaum etwas beigetragen hat. Es wäre also eine Mischung aus Arbeitslosengeld und bedingungslosem Grundeinkommen. Um eine solche Mindestsicherung umzusetzen, bräuchte es aber eine Art Gesellschaftsvertrag, wonach der Reichtum umverteilt und somit ein neuer sozialer Boden eingezogen wird.

Eine derartige Umverteilung würden wir aber auch brauchen, wenn es die Roboter jetzt nicht gäbe. Denn die westlichen Gesellschaften haben seit den 70er Jahren massiv an Ungleichheit zugelegt, was auch zu gesellschaftlichen Spannungen und Problemen in der Demokratie geführt hat. Allein um unsere jetzige Demokratie zu stärken, brauchen wir Umverteilung.

Wie soll die Umverteilung aussehen?

Nachtwey: Ich bin skeptisch, dass Wissenschaftler immer eine Lösung anbieten sollen. Es wäre aber vielleicht ein erster Schritt, die ohnehin vorgesehenen Steuern von den Großkonzernen auch tatsächlich einzuholen, um so wieder mehr für den Ausbau der Demokratie hereinzuholen.

Eine weitere Notwendigkeit sehe ich darin, die Arbeitszeit zu verkürzen. Damit würde man die Arbeitsplätze auf mehrere verteilen - auch die gut bezahlten Stellen. So gesehen hätte die Automatisierung das Potenzial, den Menschen mehr Zeit für Familie, Hobbies und Freunde zu geben.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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