Immer mehr deutsche Professoren

Knapp 2.500 Professoren gibt es an Österreichs Unis. Über 28 Prozent von ihnen sind laut neuesten Zahlen Deutsche, Tendenz steigend. An manchen Instituten, an denen zu Geschichte und Kultur Österreichs gelehrt wird, gibt es daran zunehmend Kritik.

Die Hochschulen sollen internationaler werden: Das war spätestens mit dem Universitätsgesetz 2002 und der darin enthaltenen Uniautonomie ein Ziel der Politik. Aus der Internationalisierung wurde in den meisten Fällen allerdings eine Germanisierung - wie es etwa Anfang des Jahres in einer Studie der Universitätenkonferenz hieß.

Die neuesten Zahlen bestätigen das: Spitzenreiterin ist die Universität Klagenfurt, die nach Eigenangaben 45 Prozent deutsche Professoren bzw. Professorinnen hat - genauso viele wie österreichische. Knapp dahinter liegen laut Wissenschaftsministerium im Wintersemester 2016 die Universität Wien und die Veterinärmedizinische Universität mit rund 41 Prozent deutschen Professoren.

Ö1-Sendungshinweise

Über das Thema berichten auch die Ö1-Dimensionen am 10.10 um 19.05 Uhr sowie die Ö1-Journale.

Am wenigsten Deutsche gibt es an den Medizinunis in Graz und Wien. Am internationalsten sind die künstlerischen Hochschulen: etwa die Angewandte in Wien mit rund 19 Prozent deutschen und zusätzlich 30 Prozent „internationalen“ Professoren.

Zeitgeschichte: Weniger Österreich-Schwerpunkte

In den Naturwissenschaften ist ein hoher Anteil von Deutschen oder anderen Nationalitäten kein Problem. In geisteswissenschaftlichen Fächern, die österreichische Geschichte, Kunst und Sprache betreffen, kann das anders sein. Und zwar dann, wenn sich dadurch die gelehrten und erforschten Inhalte ändern.

Ein seit Anfang des Jahres diskutiertes Beispiel betrifft die Zeitgeschichte. Von sechs Unistandorten in Österreich mit Zeitgeschichte werden vier von deutschen Professoren geleitet. An den Instituten haben sich die Forschungsschwerpunkte verlagert. Für Österreich-Schwerpunkte - etwa Austrofaschismus, Erinnerungskultur und Neutralität - stehen lediglich Innsbruck und Wien.

Die Leitung in Graz ist vakant. Von den sieben Kandidatinnen und Kandidaten, die vor einem halben Jahr in die Endrunde der ausgeschriebenen Professur gekommen waren, hatte niemand zur österreichischen Zeitgeschichte publiziert. Kritiker befürchteten, dass es deshalb künftig auch in Graz weniger österreichische Zeitgeschichte geben werde. Das Verfahren musste abgebrochen werden - erst 2020 will man die Professur regulär nachbesetzen, heißt es aus dem Rektorat der Universität Graz.

„Dabei ist ganz wesentlich zu betonen, dass es dabei nicht um die Frage der Nationalität des Professors oder der Professorin geht. Es geht um Themen“, sagt die Historikerin Heidemarie Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie war eine von rund 70 Bewerberinnen und Bewerbern, betont aber, mittlerweile kein Interesse mehr an der Professur zu haben.

Kunstgeschichte: Verlust der Wiener Schule

Die Ö1-„Dimensionen“ haben sich auf die Suche nach weiteren Beispielen gemacht, wo sich wissenschaftliche Inhalte mit der Zunahme deutscher Forscher geändert haben. Eines davon betrifft das Institut für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Martina Pippal, langjähriges Institutsmitglied, sieht die Wiener Schule bedroht - eine Methode der Kunstgeschichte, die Material, Stil und Form von Kunstwerken in den Mittelpunkt stellt. „Die Gefahr ist, dass in ein paar Jahren eine Forschungs- und Lehrtradition, die hier seit 150 Jahren gut funktioniert hat, effektiv verloren geht.“

Am Wiener Institut sind sechs von sieben ordentlichen Professoren Deutsche, und die beschäftigen sich mit lokalen Traditionen relativ wenig. Der Stuttgarter Sebastian Egenhofer, nach 20 Jahren in der Schweiz nun seit einem halben Jahr Vorstand des Wiener Instituts, kündigt ein Comeback des Lokalen an. Wiener Moderne und österreichische Kunst des 20. Jahrhunderts seien momentan tatsächlich eher unterrepräsentiert.

„Wir wollen das aber für die Zukunft wieder stärker bei Neuberufungen ausbauen“, so Egenhofer. „In unserem Entwicklungsplan steht eine Professur für Kunstgeschichte Mitteleuropas, wo wir gerade die Lage Wiens und die Öffnung zum ehemaligen Ostblock als Chance nutzen wollen.“

Österreich exportiert Intelligenz

Insgesamt ist Österreich ein „Nettoexporteur“ von Intelligenz: An den heimischen Universitäten gibt es im gesamten wissenschaftlich-künstlerischen Personal 4.200 Deutsche. Umgekehrt arbeiten etwa 2.200 Österreicher und Österreicherinnen auf wissenschaftlichen Positionen an deutschen Hochschulen. Gemessen an der Bevölkerungszahl entsendet Österreich also mehr Forscher und Forscherinnen nach Deutschland als umgekehrt. Noch stärker gilt das für andere wichtige Forschungsnationen wie England oder die Schweiz.

Germanistik: Deutsch als Norm

Das zweite Beispiel betrifft die Germanistik: An den Instituten der Universitäten Wien und Klagenfurt erschienen in den 80er und 90er Jahren Dutzende Publikationen zur österreichischen Literatur, einige davon gelten mittlerweile als Standardwerke. Doch seit rund 15 Jahren - mit dem Anwachsen deutscher Professuren - wird dort nur noch wenig Vergleichbares publiziert. Das wirkt sich auf die Lehrinhalte aus - und auf die Ausbildung von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern. Die Universität Salzburg wird hier immer wieder als Ausnahme genannt.

Der Germanist Rudolf Muhr, emeritierter Professor an der Universität Graz, kritisiert nicht nur die Entwicklung in der Literaturwissenschaft, sondern auch jene in der Linguistik. Denn an den Germanistik-Instituten der österreichischen Universitäten setze sich immer mehr die „deutsche Norm“ durch. Unter anderem sei in Forschungsprojekten immer öfter von Deutsch in Österreich die Rede und nicht mehr von österreichischem Deutsch. Für Muhr steht außer Frage, dass das österreichische Deutsch eine eigenständige Sprache ist.

„Internationalität ist gut“, sagt der Germanist. „Nur sie soll nicht durch Monokultur gekennzeichnet sein, sondern durch vielfache Herkunft. Wir haben als Nachbarländer Ungarn, Tschechien, Slowakei, Italien, die Schweiz - und es kommen alle nur aus einem Land.“

Amerikanistik: Deutsch statt Englisch

Die Alpen-Adria Universität in Klagenfurt liefert ein Beispiel, das mit Österreich unmittelbar gar nichts zu tun hat. Und auch nichts mit dem Argument, dass Österreicher und Deutsche wegen ihrer gemeinsamen Sprache naturgemäß um Plätze an den Unis rittern. Heinz Tschachler vom Institut für Anglistik und Amerikanistik berichtet, dass vor rund 15 Jahren Englisch die Standardsprache war. Das Personal des Instituts bestand damals zur Hälfte aus Personen, die von Geburt an Englisch sprachen: Briten, Amerikaner, Iren und Kanadier.

Mittlerweile gibt es kaum noch native speaker. Die Internationalisierung der vergangenen Jahre war auch am Anglistik-Institut in Klagenfurt in erster Linie eine Germanisierung. „Der bewusste Verzicht auf den Gebrauch einer fremden Sprache ist stark im deutschen Hochschulwesen verankert“, erzählt Tschachler. Und das habe kurioserweise dazu geführt, dass die angehenden Anglistinnen und Amerikanisten nun öfter Deutsch statt Englisch sprechen. Der Fachbereich ist zuletzt stark geschrumpft, das übrig gebliebene Personal besteht zu einem hohen Grad aus Deutschen.

Geld, Macht und Ausschreibungen

Was sind nun die Gründe für das starke Anwachsen deutscher Professoren und Professorinnen in Österreich? Zum einen sind es strukturelle. Mit dem UG 2002 ist es zu einer starken Re-Hierarchisierung an den Unis gekommen. Es sind die ordentlichen Professoren, die gemeinsam mit den Rektoren Kurs und Inhalte der Institute bestimmen.

Ein Blick auf die Studie der Universitätenkonferenz zeigt, dass der Anteil der Deutschen auf den unteren Stufen der akademischen Karriereleiter deutlich niedriger ist. In der Professorenschaft gibt es die erwähnten 28 Prozent, und die werden nach dem - von mehreren Interviewpartnern erwähnten - Motto „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu“ weiter ansteigen.

Die wichtigste Erklärung ist jedoch das Geld. Sowohl die Ausbildungssituation als auch die Nachwuchsförderung sind bei den deutschen Nachbarn deutlich besser. Der Migrationsforscher Heinz Fassmann, Vizerektor der Uni Wien, spricht sich deshalb für eine stärkere Förderung von Laufbahnmodellen aus („Tenure Track“) und dafür, verstärkt österreichische Forscher aus dem Ausland zurückzuholen. Dazu brauchte es freilich mehr finanzielle Mittel.

Aber selbst eine Verdoppelung der Hochschulbudgets würde an den konkreten Forschungs- und Lehrinhalten nichts ändern. Diese liegen noch immer in der Verantwortung der Universitäten. Wer will, dass österreichische Literatur, Zeit- oder Kunstgeschichte erforscht oder dass in der Anglistik wieder mehr Englisch gesprochen wird, der muss das in die Ausschreibung für die entsprechende Professur hineinschreiben.

„Man möge sich bei der Planung von Professuren gut überlegen, wo etwas Österreich-Spezifisches in weiterer Folge gelehrt werden sollte“, sagt Fassmann. Bei Ausschreibungen von Professuren sollten Österreich-Schwerpunkte verlangt werden - und das gelte es vor allem in den Entwicklungsplänen der Unis und bei der Stellenplanung zu beachten.

Tanja Malle und Lukas Wieselberg, Ö1-Wissenschaft

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