Wie die Klimaerwärmung das Stromnetz bedroht

Das europäische Verbundnetz zählt zu den sichersten Stromnetzen weltweit. Mehrere Entwicklungen erhöhen aber die Gefahr von Blackouts – unter anderem der Klimawandel, wie die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb erklärt.

In Zahlen ausgedrückt lag die Versorgungssicherheit in Österreich beispielsweise im Jahr 2015 bei 99,99 Prozent. Im Mittel war also ein österreichischer Stromkunde weniger als 30 Minuten ohne Ankündigung vom Stromnetz getrennt. Aber lassen sich diese Daten linear in die Zukunft projizieren? Zahlreiche Experten sehen vermehrt Ursachen, die ohne Vorwarnung einen Totalausfall des Stromnetzes hervorrufen könnten.

TV-Sendungshinweis

„Strom aus – Wie sicher sind unsere Netze?“ – 3sat, am 8.11.2017 um 20.15 Uhr: Erstausstrahlung einer TV-Doku von Peppo Wagner, in der Experten die Verletzlichkeit unseres Stromnetzes, Bedrohungspotenziale und Lösungsansätze erörtern.

Steigender Verbrauch, die Energiewende und bewusste Manipulation, etwa durch Terroranschläge oder Cyber-Attacken, könnten das Stromnetz immer näher an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit führen. Auch der Klimawandel stellt mit Extremwetterlagen, erhöhten Flusswassertemperaturen und abschmelzenden Alpingletscher eine ernstzunehmende Bedrohung dar.

Trailer der TV-Doku:

Klar ist, dass bei Eintritt eines Blackouts, also eines langanhaltenden und flächendeckenden Stromausfalls, katastrophale Folgen für das gesamte Gemeinwesen zu erwarten wären. Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur in Wien sieht vor allem den Klimawandel, der unsere Stromversorgung in Zukunft fordern könnte.

Halten Sie die Diskussion über mögliche Blackouts für Panikmache oder für ein Szenario, dass durchaus real werden könnte?

Helga Kromp-Kolb: Alles, was netzgebunden ist, also Straßen, Schienen oder auch Wasserwege, ist extrem störungsanfällig. Wenn irgendwo eine Störung auftritt, dann hat das Konsequenzen für ein weites Gebiet. Und die sind beim Strom ganz extrem. Im Vergleich zu anderen Ländern stehen wir in Österreich gut da, aber das Risiko von Netzausfällen steigt - neben technologische Ursachen - klimabedingt. Die Konsequenzen eines langanhaltenden Stromausfalls sind erschreckend. Ich glaube daher, dass es notwendig ist, sich damit auseinanderzusetzen, denn nur dann kann man auch etwas dagegen tun. Das ist wie beim Klimawandel. Ich kann das als Panikmache verstehen, aber ich kann es auch als Warnung verstehen, dass es notwendig ist, etwas zu tun, damit es nicht so weit kommt.

Wo gibt es Wechselwirkungen zwischen Klimaveränderungen und Versorgungssicherheit?

Kromp-Kolb: Es gibt eine Fülle davon. Der Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie ist noch nicht vollzogen, und das ist nach wie vor eine Herausforderung, denn die Abschätzungen, wie viel erneuerbare wir haben, sind ja ebenfalls klimaabhängig: Wie viel Wasser oder Wind wird zur Verfügung stehen? Potenziale werden einfach nach dem derzeitigen Stand abgeschätzt. Dann gibt es natürlich auch noch den Konnex, dass Klimaänderung auch den Bedarf verändert. Das heißt, Hitzewellen und Kälteperioden erfordern mehr Strom, weil die Leute mit Strom kühlen und heizen. Und schließlich gibt es noch die Extremereignisse, die dazu führen können, dass Hochspannungsleitungen umfallen, ein Baum auf eine Leitung fällt oder ein Blitz einschlägt.

Dreharbeiten im Windpark Handalm in der Steiermark

ORF/Symbol für Energie Steiermark AG/Edi Aldrian

Dreharbeiten im Windpark Handalm in der Steiermark

Welche Rolle spielen die Verfügbarkeit von Wasser und die steigenden Temperaturen der Flüsse für die Stabilität der Stromversorgung?

Kromp-Kolb: Jedes thermische Kraftwerk lebt von einer Temperaturdifferenz zu dem Kühlmedium. Wenn das Kühlmedium Wasser ist, dann führt eine erhöhte Temperatur des Wassers zu einer geringeren Effizienz. Aber es gibt noch eine Fülle von anderen möglichen Konsequenzen, zum Beispiel biologischer Natur. An den Ausflüssen können sich Tiere ansiedeln, die es vorher nicht gegeben hat und die eventuell den ganzen Ausfluss verstopfen können.

Ö1-Sendungshinweis

“Strom kommt aus der Steckdose, oder?“: Ö1 Punkt eins, 8.11.2017 um 13 Uhr

Ausstellung

ON/OFF. Die interaktive Ausstellung zum Stromnetz: Technisches Museum Wien, ab 9. November 2017

Dann wäre die Kühlung überhaupt dahin. Man muss auch sehen, dass viele unserer Flüsse und Gewässer, zumindest im alpinen Raum, von Gletschern gespeist werden. Hitzeperioden führen derzeit noch dazu, dass sie durch mehr Schmelzwasser höhere Wasserstände haben. Aber mit Rückgang der Gletscher wird sich das ändern. Dann wird in Hitzeperioden wirklich kein Wasser mehr nachkommen. Dann wird sich diese Situation noch einmal verschärfen.

Wie wollen aus Klimaschutzgründen weg von der fossilen Stromerzeugung. Wird eine Stromversorgung aus rein erneuerbaren Energieträgern funktionieren? Stromproduktion aus Wind und Sonne ist bekanntlich stark schwankend …

Kromp-Kolb: Ich glaube, dass wir auch ohne fossile Energieträger auskommen. Aber man muss dazu sagen, dass das eine gewisse Umstellung im Lebensstil bedeuten wird. Man wird sich überlegen müssen, wann man die Spülmaschine wirklich braucht und laufen lässt – nicht jederzeit. Oder ob der Kühlschrank wirklich durchgehend kühlen muss, vielleicht kann der auch zwischendurch abgeschaltet werden? Das heißt, das muss dann in einer vernünftigen Weise gestaltet werden.

Deswegen müssen wir weg von unserer absoluten Abhängigkeit von Strom. Dabei geht es auch um Speicher. Es wird sehr intensiv daran gearbeitet, wie man erneuerbare Energie gut speichern kann. Man darf aber nicht nur von diesen Technologien sprechen, sondern auch von einer Reduktion des Bedarfs. Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn wir versuchen, alles was wir derzeit an Strom verbrauchen, zu ersetzen, ist das der falsche Weg. In einem Land wie Österreich geht es tatsächlich darum, weniger Strom, weniger Energie und weniger Ressourcen zu brauchen.

Interview: Peppo Wagner

Mehr zu dem Thema: