Krebsmedikamente: Umstrittener Nutzen für Patienten

Mit neuen Krebsmedikamenten sind meist große Hoffnungen verbunden. Krebs könnte - wenn nicht heilbar - zu einer chronischen Erkrankung werden. Das hinterfragt eine britische Studie: Der tatsächliche Nutzen der Medikamente ist demnach oft unklar.

48 neue Krebsmedikamente hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) von 2009 bis 2013 zugelassen - für 68 Krankheiten, vom Lungen- und Magenkrebs über den Haut- bis zum Brustkrebs. Den Patientinnen und Patienten bringen sie aber wenig, wie ein Team aus britischen Medizinerinnen und Ökonomen berichtet. „Rund zwei Drittel der Krebsmedikamente kommen ohne Nachweis eines längeren Überlebens auf den Markt“, so Studienautor Huseyin Naci von der London School of Economics im Interview mit dem British Medical Journal (BMJ), wo die Studie erschienen ist.

Und nicht nur bei der Zulassung fehlt bei zwei Drittel der Medikamente ein Hinweis, dass sie das Leben von Krebspatientinnen und -patienten verlängern. Auch bis zu fünf Jahre nach der Zulassung liegen kaum Studien vor, die einen Vorteil für Lebenserwartung oder Lebensqualität dokumentieren - das gehe aber an der Realität vorbei, so Huseyin Naci: „Lebensdauer und Lebensqualität - das zählt für die Patienten und ihre Familie, aber auch für Ärzte und Pflegepersonal.“

Schwierige Beurteilung

Scharfe Kritik üben die Forscher an der EMA, denn bei den Zulassungsstudien spielten Lebensqualität und ein längeres Überleben kaum eine Rolle. Diese Kritik kann Milena Stain von der Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) nicht nachvollziehen. Sie ist eines von zwei österreichischen Mitgliedern im Komitee für humane Arzneimittel der EMA, wo man die britische Studie ernst nimmt und an einem Brief an das BMJ arbeitet. Die Lebensqualität der Patienten sei ein wichtiger Punkt bei den Bewertungen der EMA, aber nicht immer so einfach zu beurteilen: „Es gibt natürlich besonders bei Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung eine große Variabilität, wie die Leute ihr Befinden bewerten und dokumentieren.“ Es sei auch für sie und ihre Kollegen „oft enttäuschend, dass da nicht eindeutigere Ergebnisse zu erzielen sind.“

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Über das Thema berichtete auch das Mittagsjournal am 27.12.2017.

Alles auf das Überleben im statistischen Schnitt zu konzentrieren, sei aber auch nicht der richtige Fokus, so die Medizinerin. Denn es gebe bei Zulassungsstudien oft Einzelergebnisse, die dem Patienten, der Patientin sehr wohl nützen: „Es kann ein großer Vorteil sein, wenn ein Medikament - auch wenn es die Lebenszeit nicht massiv verlängert - ein anderes Nebenwirkungsprofil hat als ein bereits am Markt befindliches Mittel, das ein Patient einfach nicht verträgt.“ In einem gibt die Medizinerin den britischen Forschern aber Recht: Dass die EMA regelmäßig mit dem Patientennutzen beschäftigt ist, ist aus den Veröffentlichungen kaum nachzuvollziehen. „Das müssen wir besser transportieren und beschreiben.“

Debatte über Kosten

Ist ein Medikament von der EMA einmal zur Zulassung freigegeben und hat die EU-Kommission ihr Okay gegeben, ist es prinzipiell sofort in der gesamten EU verfügbar. Nicht entschieden ist damit, ob ein Präparat auch von den Krankenkassen bezahlt wird. Therapien mit neuen Krebsmedikamenten bringen oft hohe Kosten mit sich, manche gehen in den sechsstelligen Bereich. In Deutschland ist - befeuert von der neuen Studie zum fraglichen Nutzen der Medikamente - eine heftige Debatte entstanden. So fordert das oberste Gremium im Gesundheitswesen, dass „in Zukunft neue Wirkstoffe schlechter bewertet werden müssen, wenn keine Angaben zur Lebensqualität vorliegen“. Die Bewertung ist Basis von Preisverhandlungen zwischen Kassen und Herstellern.

Möglichst große Transparenz bei der Bewertung des Patientennutzens - dafür plädiert auch Milena Stain von der österreichischen Medizinmarktaufsicht. Denn das sind wichtige Informationen für jene, die in Österreich letztlich über den Einsatz eines zugelassenen Medikaments in der Praxis entscheiden - die Ärzte, im Idealfall gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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