Schlechte Luft macht unmoralisch

Wer in schlechter Luft lebt, verhält sich eher kriminell oder unmoralisch. Das zeigen statistische Analysen sowie Experimente. Wie die Forscher vermuten, macht der Schmutz ängstlich, diese Angst wiederum verändert das Verhalten.

Schlechte Luft ist ungesund. Schadstoffe wie Stickoxide, Ozon und Feinstaub belasten die Atemwege, erhöhen das Risiko für schwere Erkrankungen und können das Leben verkürzen. Laut WHO leiden 90 Prozent aller Menschen unter Luftverschmutzung, mehr als sechs Millionen sterben an den Folgen. Wie die Forscher um Jackson G. Lu von der Columbia University schreiben, richtet die unreine Luft aber nicht nur körperlichen, sondern auch psychischen Schaden an. Studien zeigen: Manche werden dadurch ängstlich und depressiv. Ängstliche Menschen wiederum verhalten sich mitunter aggressiv bis unethisch.

Diese Grenzüberschreitungen dürften ein Art Ventil für die Angst sein. Schlechte Luft könnte auf diesem Weg letztlich zu unmoralischem Verhalten führen, so die Hypothese der Forscher. Um sie zu überprüfen, haben sie zuerst Daten zur Luftverschmutzung und zur Kriminalität aus 9.360 US-Städten über einen Zeitraum von neun Jahren ausgewertet. Tatsächlich war die Luft in Städten mit hohen Kriminalitätsraten stärker von Schadstoffen belastet. Der Effekt blieb auch erhalten, nachdem die Forscher andere mögliche Einflussfaktoren rausgerechnet haben, wie etwa Armut, Arbeitslosigkeit und andere wirtschaftliche Faktoren.

Vorgestelltes Leben

Die folgenden Experimente sollten einen möglichen kausalen Zusammenhang hinter der Verhaltensänderung ausfindig machen. Nachdem man Menschen schwerlich realer schlechter Luft aussetzen kann, haben die Forscher mit einem mentalen Trick gearbeitet. Dafür mussten die 256 Probanden aus den USA vorerst Bilder von Orten mit schmutziger bzw. sauberer Luft betrachten. Sie sollten sich vorstellen, wie es wäre, an den abgebildeten Plätzen zu leben und die Luft dort zu atmen.

In der Folge mussten sie einen Test absolvieren, bei dem fehlende Wörter zu ergänzen waren. Jede richtige Antwort brachte einen halben Dollar. Wenn sich die Computermaus über einen bestimmten Teil des Bildschirms bewegte, poppte kurz die richtige Antwort auf - ein Programmierfehler, wie die Forscher vorab mitteilten. Die Teilnehmer sollten das möglichst unterlassen, was sie natürlich nicht immer taten. Die Leiter des Experiments zählten unbemerkt, wie oft geschummelt wurde. Jene, die sich zuvor ein Leben in schmutziger Luft vorgestellt hatten, taten dies häufiger als die anderen.

Angst als Erklärung

Bei den folgenden zwei Experimenten wurden die Probanden erneut mit entsprechenden Fotos „geprimed“, alle sahen dieselben Plätze in Peking, entweder bei klarer, sauberer Luft oder durch Smog vernebelt. Danach sollten sie darüber schreiben, wie es wäre, dort zu leben und einen Tag zu verbringen. Diese Aufsätze wurden später von unbeteiligten Forschern psychologisch analysiert.

Im Anschluss wurde wieder „gespielt“. Bei einem Experiment mit US-Studenten ging es um die gewürfelte Augenzahl eines Würfels, beim anderen mit indischen Erwachsenen um verschiedene Verhandlungsstrategien. Erneut verhielten sich jene, die über das Leben in schmutziger Luft geschrieben hatten, deutlich häufiger unethisch. Sie hatten bei der Augenzahl öfter gelogen bzw. übertrieben sowie auf unfaire Verhandlungswege gesetzt. Wie die Analyse der Aufsätze zudem ergab, waren diese Teilnehmer auch viel ängstlicher als ihre Kollegen, die sich mental in reiner Luft bewegt hatten.

Angst muss laut den Forschern nicht die einzige psychologische Erklärung für die Verhaltensänderung sein. So animiere z.B. ein weniger schönes Umfeld eher zu asozialen Verhalten, behauptet zumindest die Broken-Windows-Theorie. Auch dass in trüber Luft weniger zu sehen ist, könnte eine Rolle spielen. Nicht zufällig geschehen viele Verbrechen in der Nacht oder in der Dämmerung und nicht bei hellem Tageslicht.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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