Polnisches Holocaust-Gesetz in Kraft

In Polen ist heute das umstrittene „Holocaust-Gesetz“ in Kraft getreten. Demnach ist es künftig verboten, der polnischen Nation die Verantwortung oder Mitverantwortung für vom NS-Deutschland begangene Verbrechen zuzuschreiben.

Polen war von 1939 bis 1945 von NS-Deutschland besetzt.

“Idiotisches Gesetz“

Mit dem neuen Gesetz wolle die konservative polnische Regierung die Debatte über polnische Mittäterschaft bei der Judenverfolgung im Keim ersticken, kritisierte der Historikers Jan Tomasz Gross. Es sei ein „idiotisches Gesetz“ und ein Versuch, „kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen“, sagte der emeritierte amerikanisch-polnische Geschichtsprofessor. Journalisten würden nun „zweimal nachdenken, bevor sie sich mit diesem Thema befassen“.

Das Gesetz habe einen „Knebeleffekt“, so Gross, der auch „riesige“ Auswirkungen auf den Inhalt des Schulunterrichtes befürchtete. Lehrer werden Angst haben, warnte Gross, der zuletzt an der US-Eliteuniversität Princeton unterrichtet hatte. Kritiker werfen der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor, mit einer 2017 eingeführten und ebenfalls umstrittenen Schulreform Kinder nach ihren Vorstellungen erziehen zu wollen.

Ungenau formuliert

Bereits vor der Verabschiedung des neuen Gesetzes hatte die Staatsanwaltschaft in Krakau Ermittlungen gegen den in Polen geborenen Historiker wegen „Verleumdung gegen die polnische Nation“ aufgenommen. Gross beschrieb in seinem Buch „Nachbarn“ die Ermordung der Juden von Jedwabne durch ihre polnischen Nachbarn im Juli 1941 - das Werk löste heftige Diskussionen über das polnisch-jüdische Verhältnis im Zweiten Weltkrieg aus. Gross gilt auch als Auslöser für eine frühere Version des Holocaust-Gesetzes - diese Vorschrift war aber letztlich vor dem Verfassungsgericht gescheitert.

Es sei „typisch für diktatorische Systeme, ungenau formulierte Gesetze zu verabschieden, die sie anwenden können, wann immer es ihnen passt“, so Gross. Die polnische Regierung habe aber nicht mit einer so heftigen Gegenreaktion gerechnet. „Sie dachten, es würde unter dem Radar durchgehen - und sie wurden mit heruntergelassenen Hosen erwischt.“

Bis zu drei Jahre Haft

Das Gesetz sieht bis zu drei Jahre Haft vor, wenn jemand „öffentlich und entgegen der Fakten dem polnischen Volk oder Staat“ eine Mitschuld an Verbrechen zuweist, die vom nationalsozialistischen Deutschland begangen wurden.

Kritiker meinen, das Gesetz sei ungenau formuliert und könne dazu missbraucht werden, um Verantwortung von Polen bei Verbrechen an Juden zu leugnen. Polens Regierung bestreitet dies und argumentiert, das Land wolle seinen Ruf verteidigen und unter anderem die Verwendung der historisch falschen Bezeichnung „polnische Todeslager“ verhindern.

Die Strafvorschrift soll noch vom Warschauer Verfassungsgericht geprüft werden, ein Richterspruch wird in voraussichtlich zwei Monaten erwartet. Von diesem seien Gesetzesänderungen abhängig, sagen polnische Regierende.

Noch vor seinem Inkrafttreten löste das Gesetz eine diplomatische Krise mit Israel aus, zudem belastet es das polnische Verhältnis zur Ukraine.

science.ORF.at/APA

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