Gänsehaut auf Befehl

Wenn einem kalt ist, man sich fürchtet oder ein schönes Musikstück hört, bekommt man Gänsehaut - unfreiwillig. Einige Menschen können das Schaudern aber absichtlich erzeugen. Was dahinter stecken könnte, haben Forscher nun untersucht.

Wenn sich die Muskeln unter der Haut zusammenziehen und sich die winzigen Härchen aufrichten, erinnert das tatsächlich ein wenig an eine gerupfte Gans - die Bezeichnung Gänsehaut oder Hühnerhaut, wie es in anderen Sprachen heißt, passt also recht gut zu dem körperlichen Reflex, der medizinisch auch als Piloerektion bekannt ist. Vermutlich verdanken wir diesen unseren behaarten Vorfahren. Wenn sich die Haare bei Kälte aufrichten, entsteht ein schützendes Luftpolster. Die bessere Durchblutung verringert den Wärmeverlust.

Die Studie

„The voluntary control of piloerection“, PeerJ Preprints, 1.3.2018

Weniger klar ist, warum sich unsere spärliche Körperbehaarung auch bei intensiven Gefühlen oder Geräuschen aufrichtet. Wenn die Kreide an der Tafel quietscht, uns ein Musikstück berührt oder wir einen Gruselfilm sehen, läuft uns dabei buchstäblich ein Schauer über den Rücken, den viele durchaus als wohlig empfinden.

Keine Kontrolle

Wann oder wie oft das passiert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Generell - sollte man zumindest meinen - lässt sich der unwillkürliche Reflex nicht steuern. Denn die Muskulatur unter der Haut unterliegt der Kontrolle des vegetativen Nervensystems. Trotzdem sollen manche Menschen ihre Gänsehaut im Griff haben. In der medizinischen Fachliteratur der vergangenen hundert Jahre gibt es zumindest drei entsprechende Einzelfallstudien.

Das hat die Forscher um James Heathers von der Northeastern University in Boston neugierig gemacht. Für ihre nun als Preprint - also noch ohne Begutachtung durch Kollegen - vorliegende Studie haben sie sich mittels Facebook weltweit auf die Suche nach dem Phänomen gemacht, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Gefunden haben sie 32 Personen, die nach eigenen Angaben über die seltene „Superkraft“ verfügen.

Wie ein Muskel

Die Beschreibungen seien den bisher bekannten Fallgeschichten recht ähnlich, schreiben die Autoren. Drei Viertel der Betroffenen berichten, dass die willkürliche Gänsehaut vom Hinterkopf oder dem Nacken ausgeht. „Ich spanne einen Muskel hinter meinem Ohr an, dann entsteht auf meinem Rücken eine Gänsehaut, die sich bis in die Arme fortpflanzt“, schreibt etwa ein Teilnehmer.

Interessanterweise - so die Forscher - ist das Ganze für die meisten offenbar kein besonders anstrengender Akt. Sie erzeugen eine Gänsehaut so, als würden sie einen Körperteil bewegen. „Ich denke an Gänsehaut und schon entsteht sie …“ Und es geschieht innerhalb von Sekunden. Die Betroffenen sprechen von einer normalen, harmlosen Fertigkeit. Der Großteil hat sie als Jugendlicher oder junger Erwachsener mehr oder weniger zufällig entdeckt. Viele waren überrascht, dass das Phänomen so selten sein soll.

Gefühle werden intensiver

Fast klingt es, als handle es sich um eine rein mechanische Fertigkeit. Aber, wie die Betroffenen berichten, im Gefolge der Gänsehaut kommen in der Regel die Gefühle - die jenen bei unfreiwilligen Schaudern recht ähnlich sind. Fast drei Viertel scheinen die Gänsehaut auch genau zu diesem Zweck zu erzeugen, etwa um die Erlebnisse beim Tanzen oder beim Musikhören zu intensivieren, das sei dann noch „berührender“. Das erklärt, warum viele ihre Fähigkeiten auch dazu verwenden, unfreiwillige Gänsehautreflexe absichtlich zu verlängern.

Warum manche Menschen die Hautreaktion kontrollieren können, ist unklar. Körperliche Ursachen kann man nicht ausschließen - die Probanden wurden nicht medizinisch untersucht, sondern mussten nur Angaben zur Gesundheit machen. Vermutlich handle es sich um ein psychologisches Phänomen. Das legen zumindest Persönlichkeitstests mit den Betroffenen nahe.

Die auffälligste Eigenschaft: Offenheit - hier lagen alle deutlich über dem Durchschnitt. Es handelt sich dabei um eines der fünf Merkmale („Big Five“), nach denen Psychologen die Persönlichkeit seit den 1990er Jahren einteilen. Außerdem fühlen sich die Betroffenen häufiger völlig von etwas in Anspruch genommen - wie „aufgesaugt“. Diese Eigenschaften könnten die Bereitschaft erhöhen, mit emotionalen Zuständen zu experimentieren, mutmaßen die Studienautoren.

Selten und nicht erlernbar

Die Untersuchung lasse allerdings einige Fragen offen. Nachdem es sich um eine zufällige Online-Stichprobe handelt, kann man beispielsweise nicht abschätzen, wie häufig die Begabung ist. Vermutlich eher selten, denn bei einer zusätzlichen Befragung von 680 Psychologiestudenten fand sich kein einziger Betroffener.

Erlernen kann man den absichtlichen Gänsehaut-Reflex wahrscheinlich nicht. Die Selbstversuche von Heathers waren jedenfalls ernüchternd, wie er auf Twitter schreibt: „Wenn ihr wüsstet, wie viele Stunden ich auf meine Arme oder Hände gestarrt habe, versucht habe, ‚Energie‘ im Hinterkopf zu sammeln. Ich fühlte mich albern und ich kann es definitiv nicht.“

Eva Obermüller, science.ORF.at

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