Austrofaschistische „Säuberungen“

Die einst weltbekannte Wiener Medizinische Schule wurde mit der Machtübernahme der Nazis zerstört. Doch der Niedergang setzte bereits deutlich früher ein: zur Zeit des Austrofaschismus.

„‚Anschluss‘ im März 1938: Nachwirkungen auf Medizin und Gesellschaft“ - so lautete der Titel einer bis heute laufenden Tagung an der MedUni Wien. Ilse Reiter-Zatloukal vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Uni Wien zog folgendes Resümee: „Es war ein massiver Aderlass, der nach 1945 irreparabel war.“

Rassistische Motive

Die Vertreibungen begannen allerdings bereits in der Zwischenkriegszeit, abzulesen etwa an akademischen Personalständen, wie der Wiener Journalist und Historiker Klaus Taschwer betonte: „1927 hatte die medizinische Fakultät in Wien 75 Professoren und 264 Dozenten. 1942/1943 waren es 27 Professoren und 93 Dozenten. 1949 23 Professoren und 93 Dozenten.“

An der medizinischen Fakultät wurden mit dem Nationalsozialismus in Österreich allein 177 von 321 Angehörigen des Lehrpersonals aus rassistischen Gründen entlassen. Das war ein Anteil von 55 Prozent, ebenso hoch wie der Anteil der an der juridischen Fakultät wegen der Rassengesetze aus ihren Posten Vertriebenen. Suizid, Emigration oder Ermordung durch die NS-Schergen waren die Folgen.

„Aber schon zwischen 1933 bis 1938 wurden an der Universität Wien 25 Prozent der Professoren eingespart“, so Taschwer. An der medizinischen Fakultät waren es in diesem Zeitraum 22 von 60 Professoren.

Aufarbeitung fand nicht statt

Auch Reiter-Zatloukal betonte, dass bereits im Austrofaschismus Wiener sozialdemokratische Ärzte (politisch „Missliebige“) aus ihren beruflichen Positionen entfernt wurden. „Fast alle von ihnen waren jüdischer Abstammung. Seit 1937 war eine Neueinstellung von jüdischen Ärzten wegen der Notwendigkeit der Vorlage eines Taufscheins unmöglich. 1937 erklärten sich in Wien bereits drei Spitäler ‚judenfrei‘“, so die Rechtshistorikerin.

Nach dem Krieg wurde laut den Forschern die Chance einer offenen Aufarbeitung im Sinne einer „Stunde Null“ nicht genützt - auch weil aus dem Dunstkreis des Austrofaschismus stammende, antisemitische Personen an die Machthebel der Wissenschaftspolitik in Österreich kamen.

science.ORF.at/APA

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