Auch Studierende werden autoritärer

Ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher sehnt sich nach einem „starken Führer“, wie eine Umfrage gerade ergeben hat. Bei den Studierenden ist der Anteil mit acht Prozent vergleichsweise niedrig. Laut einer Befragung sind das aber mehr als noch vor sieben Jahren.

Mit Judenwitzen und Spott über behinderte Menschen sorgten Vertreter der AktionsGemeinschaft Jus und Studierende der Rechtswissenschaften Wien im letzten Jahr für Befremden. Dieses Verhalten in einer Chatgruppe auf WhatsApp sowie in einer Gruppe auf Facebook hatte nicht nur Konsequenzen für die beteiligten Studenten. Man reagierte auf der gesamten universitären Ebene und versucht nun etwa stärker auf die Ursachen und Folgen der Eingriffe während des Nationalsozialismus in einzelnen Fächern hinzuweisen.

Ein Beispiel betrifft die erwähnte Rechtswissenschaft, wie der Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien erklärt. „Man versucht nun in einer Reihe von Lehrveranstaltungen, auch mehr historisches Bewusstsein über den Missbrauch von Recht zu schaffen.“

Das gleiche gelte für Physik, Chemie und andere Fächer. Zumindest für ein paar Stunden im Semester, so Rathkolb. Damit will man einem Trend gegensteuern, der sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat.

Trend zur Intoleranz

Wie der Vergleich zwischen Studierenden-Befragungen aus den Jahren 2011 und 2018 zeigt, sind Österreichs Studenten gegenüber Zuwanderern sowie Menschen anderer Religionsgemeinschaften wie etwa dem Islam oder dem Judentum tendenziell intoleranter geworden. So stimmten von rund 2.600 online Befragten nur noch 66 Prozent der Studierenden der Frage zu, dass „Muslime/Muslimas in Österreich das Recht haben sollten, nach ihren Glaubensgesetzen zu leben.“ 2011 waren es noch 74 Prozent.

Dabei wird vor allem der Unterschied zwischen den verschiedenen Studienrichtungen deutlich: Studierende der Wirtschaftswissenschaften (20 Prozent) sowie Rechtswissenschaften und Technik (beide 19 Prozent) lehnen diese Aussage deutlich öfter ab als Studierende der Sozialwissenschaften (6 Prozent) oder Lehramtstudenten (zwei Prozent). Ein ähnlicher Trend zeigt sich bei derselben Frage zu Menschen der jüdischen Glaubensgemeinschaft.

Darüber hinaus nimmt der Umfrage zufolge das Bewusstsein für negative globale Entwicklungen ab, erklärt Rathkolb, der die Befragungen gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlern Petra Ziegler geleitet hat. „Das heißt, es gibt hier eine Rückbesinnung auf nationale und europäische Fragen. Da muss sicher gegengebessert werden.“

Spiegelbild der Gesellschaft

Allgemein betrachtet zeigen sich Männer sowie Studierende der Fächer Jus, Wirtschaft, Technik sowie den Naturwissenschaften tendenziell konservativer als jene der Sozial- und Geisteswissenschaften. „Sie lehnen positive formulierte Fragen eher ab und stimmen negativ formulierten eher zu“, so Petra Ziegler. Studentinnen wiederum seien „die wesentlich engagierteren, offeneren Demokraten“, ergänzt Rathkolb.

Mit diesen Entwicklungen sind die Studenten allgemein ein Spiegelbild einer internationalen gesellschaftlichen Entwicklung, so der Zeithistoriker. Wenngleich es hier im Vergleich zur Gesamtbevölkerung durchaus Unterschiede im Detail gibt: Wünschen sich laut einer aktuellen Befragung etwa 26 Prozent der Österreicher ein autoritäres Regime, ist die Zahl bei den Studenten in den letzten sieben Jahren zwar ebenfalls gestiegen, allerdings nur von fünf auf acht Prozent. „Man darf das nicht überbewerten. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind wir hier immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau“, so die Sozialwissenschaftlerin Petra Ziegler vom Wiener Institut für Arbeitsmarkt und Bildungsforschung. „Dennoch war ich schon ein bisschen überrascht, dass wir diesen autoritären Trend auch bei den Studenten wiederfinden“, gesteht Rathkolb.

Positive Trends

Abgesehen davon zeigt die aktuelle Umfrage aber auch positive Trends, zum Beispiel, „dass die Studierenden erstens wieder politisch aktiver werden, politisch wacher, sie sehen auch viel stärker als der Rest der Bevölkerung die Europäische Union auch als ein wichtiges Instrumentarium um Demokratie auch zu verwirklichen und zu leben“, erklärt Rathkolb. Die gesamte Entwicklung fasst er deshalb wie folgt zusammen: „Studenten sind also bessere Europäer aber schlechtere Weltbürger geworden.“

Positiv beurteilt der Zeithistoriker auch, dass mehr Studenten den Beitritt der Türkei ablehnen (von 48 Prozent im Jahr 2011 auf 79 Prozent). „Das ist kein Votum gegen die türkische Gesellschaft, sondern gegen das gegenwärtige politische Regime. Das muss man eher unter dem Standpunkt der pro-demokratischen Einstellung beurteilen.“

Burschenschaften immer unbeliebter

Für Überraschung sorgte auch eine Aussage, die in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Fragebogen stand: „Schlagende Burschenschaften sollte es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben.“ Lehnten am Anfang der Befragungszeit Mitte Jänner dieses Jahres noch 31 Prozent der männlichen Studierenden diese Aussage ab, waren es Ende Jänner mit 66 Prozent plötzlich mehr als doppelt so viele. „Hier ist genau die Affäre rund um das Liederbuch mit antisemitischen Texten bekannt geworden“, erläutert Ziegler. Bei den Frauen gab es ebenfalls einen Zuwachs, allerdings viel er nicht so deutlich aus. „Das liegt daran, dass weibliche Studierende Burschenschaften mit durchschnittlich 85 Prozent grundsätzlich viel stärker ablehnen als bei Männern.“

Für den Zeithistoriker Rathkolb sind die Teilergebnisse bei dieser Frage ein „Weckruf“, wie er sagt. „Es zeigt, dass es hier einen Bedarf nach Information gibt. In dem Moment, wo Medien diese anbieten und erklären, was eine schlagende Burschenschaft ist, was sie für ein Programm haben und was für sie deutsche Kultur bedeutet, ändert sich die Einstellung sehr schnell.“

Seinen Appell richtet er aber nicht nur an die Medien, mehr über gesellschaftskritische Themen zu berichten und aufzuklären. Vor allem Hochschulen müssten zunehmend auch zusammenhängende gesellschaftskritische Fragen sowie historische Aspekte in den verschiedenen Vorlesungen zur Diskussion zu bringen. „Wir stehen etwa bei der Genforschung vor einer Revolution, wo große ethische Fragen auftauchen. Hier können wir auch die ganze Debatte um Rasse und dem idealen Menschen aus dem späten 19. sowie dem 20. Jahrhundert hereinholen.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu diesem Thema: