Epilepsie-Anfälle hörbar gemacht
„Bis zu 90 Prozent der kritisch erkrankten Patienten haben keine Krämpfe, viele der im Koma befindlichen erholen sich nicht, weil ihr Gehirn weitere Anfälle hat“, erklärt der Neurologe Josef Parvizi von der Universität Stanford.
Studie
”Detecting Silent Seizures by their Sound”, Epilepsia, 21.3.2018
Wenn die plötzlichen Entladungen der Nervenzellen im Gehirn rechtzeitig erkannt werden könnten, wäre das für diese Patienten ein großer Vorteil. Deshalb, so Parvizi, war es an der Zeit, über alternative Methoden der Diagnose nachzudenken.
Universität Stanford
Inspiriert vom Kronos Quartet
Der Standardnachweis von Epilepsie funktioniert bis heute mittels Elektroenzephalografie (EEG). Dabei werden den Patienten Sensoren am Kopf angebracht, die die elektrische Aktivität des Gehirns messen und aufzeichnen. Neurologen schauen sich die EEG-Bilder danach an und interpretieren sie – ein Prozess, der lange dauern kann, zu lange für einige der Patienten.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 21.3., 13:55 Uhr.
Die Lösung für das Problem, so Parvizi in einer Aussendung der Universität Stanford, ist ihm eingefallen, als er ein Stück des Kronos Quartet gehört hat. Das US-Streichquartett hatte NASA-Daten aus dem Weltraum vertont (hier ein Tonbeispiel). Um so etwas Ähnliches nun mit Gehirnwellen auszuprobieren, hat sich der Neurologe an seinen Kollegen Chris Chafe von der Abteilung für Musikwissenschaft gewandt. Chafe war zuvor schon mit Kompositionen aufgefallen, die auf Klimadaten beruhen, war also „positiv vorbelastet“.
Gemeinsam entwickelten sie in den vergangenen Jahren ein Gerät und die dazu passende Software, die aus Gehirnwellen Töne generieren. Die Ergebnisse sind intuitiv gut nachzuvollziehen:
Audiobeispiel „normale“ Gehirnwelle
Audiobeispiel epileptischer Anfall
Während das Gehirn im Normalmodus ein gleichmäßiges und ruhiges Brummen von sich gibt, klingt es während eines Anfalles wie ein intensives Schreien oder Weinen mit großen Ausschlägen. Im Gegensatz zu früheren Versuchen, Gehirnwellen hörbar zu machen, sei ihr System genauer und liefere die akustischen Eindrücke auch in Echtzeit, betonen die Forscher.
Universität Stanford
Sehr leicht zu interpretieren
84 „Gehirnsounds“, 32 davon stammten von epileptischen Anfällen, spielten sie in einem nächsten Schritt 34 Studierenden und 30 Personen aus der Krankenpflege vor. Ergebnis: Beide Gruppen konnten 95 Prozent der „Anfalltöne“ richtig zuordnen. Ohne Vorkenntnis gelingt das bei der Interpretation von EEG-Bildern nur rund der Hälfte.
Die akustischen Informationen sind also für Laien leichter zu verstehen als die visuellen – und das könnte in Zukunft einen praktischen Nutzen haben. Davon ist Josef Parvizi überzeugt: „Mit der Technologie können Krankenschwestern, Medizinstudenten und Ärztinnen überprüfen, ob Patienten im Moment einen lautlosen Anfall haben oder nicht.“
In wohlüberlegter PR-Sprache nennt er die Technologie deshalb auch „Gehirn-Stethoskop“. So ähnlich wie ein Stethoskop verwendet wird, um Herztöne abzuhören, könnte das neue Gerät versteckte epileptische Anfälle anzeigen: zum einen bei schwer kranken Patienten, zum anderen aber auch bei sehr leichten Anfällen, die ansonsten unentdeckt blieben.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at