Historiker Moishe Postone gestorben

Der kanadische Historiker Moishe Postone ist Anfang der Woche im 76. Lebensjahr in Chicago gestorben. Er zählt zu den profiliertesten Marx-Kennern der Gegenwart und hat sich u. a. mit dem Antisemitismus in der Linken auseinandergesetzt.

Der 1942 geborene Postone war in den 70er Jahren Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. 1983 promovierte er an der dortigen Johann Wolfgang Goethe-Universität. Zuletzt war Postone Professor für Moderne Geschichte an der University of Chicago und Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien.

Das IWM erinnerte an den „unbezähmbaren Geist, wundervollen Humor und das Funkeln in Augen Postones, wenn er dafür argumentierte, marxistische Theorie für heutige politische Fragestellungen zu verwenden“.

Trotz seiner persönlichen Feinsinnigkeit fiel sein politisches Urteil hart aus. Auf die Frage, was man heute mit Hilfe von Marx besser verstehen könne, antwortete er in einem science.ORF.at-Interview vor knapp zwei Jahren: „Er kann dabei helfen, die strukturellen Veränderungen der Gesellschaft zu verstehen … Wir gehen heute in eine Richtung, wo es zunehmend überflüssige Menschen gibt, überall. … Wir müssen entweder neue gesellschaftliche Formen finden, mit denen die Reproduktion nicht mehr über den Austausch von Arbeit vermittelt ist. Oder wir verfallen in eine neue Barbarei, wo immer weniger arbeiten und immer mehr ein Proletariat im alten römischen Sinn bilden, d.h. ein Proletariat ohne Arbeit, für das man Brot und Spiele bereithält.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Zwei Interviews mit Moishe Postone: