Die Folgen der Katastrophe

Über 1.000 Menschen sind 2013 nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch gestorben. Die Arbeitsstätten sind seither sicherer geworden, sagen nun Forscher. Existenzsichernd ist die Arbeit der Näherinnen und Näher aber nach wie vor nicht – und das gilt auch für Osteuropa.

„Made in Bangladesch“ - so steht es in vielen unserer Lieblings-T-Shirts. Nach China ist das südasiatische Land der größte Textilhersteller der Welt. Vier Millionen Menschen, hauptsächlich Frauen, arbeiten in den 5.000 Textilfabriken des Landes. Auch hier gibt es eine Bauverordnung, Arbeitsrechte und Brandschutzbestimmungen.

Wenige Wochen vor dem Unglück im April 2013 im Rana Plaza wurde das Gebäude inspiziert, jedoch ohne Konsequenzen. Als sich wenig später große Risse in den Wänden zeigten, blieben eine Bank und mehrere Geschäfte im Erdgeschoss des Gebäudes geschlossen. Die Arbeiterinnen der Textilfabrik darüber mussten ihren Dienst wie gewohnt antreten. Einen Tag später stürzte das Gebäude in sich zusammen, 1.129 Menschen starben, über 2.000 weitere wurden teils schwer verletzt. Sie stellten Kleidung für internationale Marken wie H&M, Benetton und Mango her.

Porträtfoto von Juliane Reinecke

Lena Halwirth, ORF

Die Ökonomin Juliane Reinecke vom King’s College in London war auf Einladung des Center for Corporate Governance & Business Ethics vor Kurzem in Wien zu Gast.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung Wissen aktuell, 26.3., 13:55 Uhr.

Fünf Jahre sind seit dem Unglück vergangen. Juliane Reinecke hat seither mit Gewerkschaftsvertretern, Aktivistinnen und Managern großer Marken, die ihre Ware von Bangladeschs Fabriken beziehen, gesprochen. Die Professorin für Internationales Management und Nachhaltigkeit an der Londoner King’s Business School hat untersucht, wie die Textilbranche auf das Unglück vor fünf Jahren reagierte. Der Zusammenbruch des Rana Plaza sei ein Wendepunkt gewesen, so Juliane Reinecke.

Gemeinsam Druck machen

„Gewerkschaftsvertreter und Nichtregierungsorganisationen haben wirklich zusammengearbeitet und sich gegenseitig den Ball zugespielt“, schildert die Wirtschaftswissenschaftlerin. „Die NGOs haben den Druck der Konsumenten verstärkt und benutzt, um Druck auf die Unternehmen auszuüben. Die Gewerkschaftsvertreter hatten schon Beziehungen mit vielen Unternehmen und haben die Rolle der Verhandler eingenommen.“ Dieser gemeinsame Druck habe schließlich noch im Jahr 2013 zum „Accord for Fire and Building Safety in Bangladesh“ geführt, einem Abkommen unter internationalen Marken, Textilherstellern und Gewerkschaften.

Rund 200 Markenfirmen haben das rechtlich verbindliche Übereinkommen unterzeichnet. Damit verpflichten sie sich, die Textilfabriken von unabhängigen Inspekteuren kontrollieren zu lassen. „Vor dem Inkrafttreten des Accords waren die eingesetzten Inspekteure oft nicht gut genug ausgebildet, um zu wissen wie Brandschutz oder elektrische Sicherungen aussehen.“ Die Mitglieder des Accords beauftragten internationale Bauunternehmen mit der Inspektion. Sie untersuchen Textilfabriken auf bauliche Mängel, die Einhaltung von Brandschutzbestimmungen und die elektrische Sicherheit. Ihre Ergebnisse sowie empfohlene Sanierungsmaßnahmen werden veröffentlicht.

Brandschutz und Gebäudesicherheit verbessert

Darüber hinaus haben sich die Marken verpflichtet, notwendige Gebäudesanierungen zu finanzieren. Die Textilhersteller mussten in allen ihren Fabriken demokratisch gewählte Gesundheits- und Sicherheitskomitees einrichten. Diese sollen Mängel feststellen und Maßnahmen dagegen ergreifen. Näherinnen und Näher haben seit dem Unglück das Recht, die Arbeit zu verweigern, wenn die Arbeitsbedingungen ihre Sicherheit gefährden.

„Der Accord ist auf Brandschutz und Gebäudesicherheit fokussiert. So hat er es geschafft, diese Bereiche sehr zielgerichtet abzudecken“, sagt Juliane Reinecke. Näherinnen und Näher müssen seither in den Fabriken nicht mehr um ihr Leben fürchten – ein absoluter Mindeststandard sei erreicht. Doch muss es immer erst zur Katastrophe kommen, damit Unternehmen aktiv werden?

Porträtfoto von Markus Scholz

Lena Hallwirth, ORF

Der FH-Professor für Wirtschaftsethik und Unternehmensführung Markus Scholz ist Leiter des Center for Corporate Governance and Business Ethics der FH-Wien.

Nur indem sie sich zusammenschließen, können Unternehmen wirklich etwas in ihrer Branche bewirken, ist der Wirtschaftsethiker Markus Scholz überzeugt. Nicht nur in der Textilbranche, auch im Finanzwesen oder der IT-Industrie gäbe es zu wenig regulierte Märkte. „Was soll ein einzelnes Unternehmen da tun? In Bangladesch hatten wir das Problem, dass jedes einzelne Unternehmen so günstig wie möglich produzieren musste.“ Sonst wäre es gegenüber Konkurrenten im Nachteil gewesen. Auch von Konsumenten habe es keine Signale in eine andere Richtung gegeben, so Scholz.

Sicher, aber ohne Würde

„International agierende Unternehmen müssen sich selbst einbringen und mit Vertretern der Zivilgesellschaft, NGOs und der Internationalen Arbeitsorganisation (Anm.: ILO) zusammenarbeiten und selbst Standards setzen“, so der Professor für Wirtschaftsethik an der FH-Wien. Unter welchen Umständen Unternehmen selbst aktiv werden, sei bisher noch nicht ausreichend erforscht. Man wisse aber, wenn Unternehmen um ihr Ansehen fürchten oder strenge gesetzliche Maßnahmen drohen, setzen sie sich am ehesten gemeinsam für höhere Standards ein.

Bangladeschs Textilfabriken wurden erst nach der Katastrophe im Jahr 2013 sicherer. An dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell habe sich durch das Übereinkommen der Unternehmen aber nichts geändert, so Juliane Reinecke. „Löhne und andere Arbeitsstandards sind nicht abgedeckt vom Accord. Die Löhne, die gezahlt werden, ermöglichen den Menschen keine würdige Existenz.“

“Made in Europe“

Einige Unternehmen haben ihre Produktion nach dem Zusammenbruch des Rana Plaza von Bangladesch nach Europa verlegt. An den Bedingungen, unter denen produziert wird, ändert das nicht unbedingt etwas. Die NGO Clean Clothes hat errechnet, dass Textilarbeiterinnen in Rumänien und Bulgarien nur 18 Prozent davon verdienen, was als existenzsichernd gilt.

Möglichst billig Massenware herzustellen, kann weder sozial noch ökologisch nachhaltig sein, so die Universitätsprofessorin Reinecke. „Wir als Konsumenten müssen überlegen, wie wir unser eigenes Konsumverhalten verändern, wenn wir nachhaltige Ware kaufen wollen.“

Wer sichergehen möchte, dass sein Lieblingskleidungsstück unter fairen und ökologischen Bedingungen hergestellt wurde, kann sich etwa an Kleidungsgütesiegeln orientieren. Die Clean Clothes Kampagne bietet mit dem „Label Check“ eine Übersicht über die wichtigsten Gütesiegel für soziale und ökologische Nachhaltigkeit in der Bekleidungsbranche.

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

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